Claes Oldenburg The Store Körper Raum

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Die Kunst und ihr Außen – Am Beispiel von Claes Oldenburgs The Store

in: Zwischen „U“ und „E“. Grenzüberschreitungen in der Musik nach 1950, hrsg. von Friedrich Geiger und Frank Hentschel, Frankfurt am Main 2011, S. 173 – 194.

Kapitel VI: Die ‚Beseelung‘ der Dinge

Alle im Store gehandelten Artikel waren aus dem gleichen Material gebildet, mochte es sich um Kleider, Unterwäsche, Fleischwaren oder Backwerk handeln. Oldenburg baute Drahtgestelle, über die er in Gips getauchtes Musselin wickelte. Nach dem Trocknen wurden diese Skulpturen mit Lack bemalt. Die Objekte waren geprägt von zerklüfteten Oberflächen und brüchigen Konturen; ihre lackierten Oberflächen wiesen eine grelle, beinahe obszöne Farbigkeit auf. Da die Grenzen des dargestellten Gegenstands nur vereinzelt mit der äußeren Form des Trägers zusammenfielen, erschienen die Objekte wie aus der Kontinuität der Wirklichkeit herausgebrochen, so, als ob die Unterscheidung von ‚Ding‘ und ‚Umraum‘, ‚Figur‘ und ‚Grund‘ kontingent wäre und der Umraum die gleiche Festigkeit wie das Ding aufwiese. Oft war das Dargestellte fragmentiert wiedergegebenen, was dessen Wiedererkennbarkeit schwächte und abstrakte Objektqualitäten freisetzte. Da die bunten Bruchstücke zudem in einem verfälschtem Maßstab zur tatsächlichen Größe des Dargestellten standen, schienen sie auf die schwankende Distanz sowie den Fluss psychischer Energien zwischen Objekt und Subjekt im kreativen Akt anzuspielen. Nachahmung und Verfremdung des Dargestellten gingen Hand in Hand.
Oldenburgs Produktivität erstreckte sich auf den gesamten Verkaufskontext, auf Vitrinen, Preisschilder, Kassenschalter und Schaufensterpuppen. Teils überlagerten sich Ware und Inszenierung, Inhalt und Verpackung, teils schien der Fokus auf sekundären Verkaufsmitteln wie Werbeanzeigen zu liegen, die damit an die Stelle des eigentlich beworbenen Produkts traten. Das Ziel bestand nicht in der naturalistischen Nachbildung von Konsumgütern, eher ging es darum, ihre verlockende Außenseite und Präsentationsform, ihre Verführungskraft und ihren Fetischcharakter in ein einziges ‚Bild’ zu verdichten. Die Magie der Warenästhetik sollte durch die ästhetisch-sinnliche Anziehungskraft der verfremdenden Artefakte noch überboten werden.
Das verbindende Element der nachgebildeten Objekte bestand in ihrem Bezug zum menschlichen Körper: Sie konnten von ihm einverleibt werden, dienten seinem Schmuck und seiner Inszenierung, seiner Verhüllung und seinem Schutz. Dies beschreibt zugleich Ähnlichkeiten sowie die Differenz zur Tradition der seit jeher vornehmlich um den menschlichen Körper kreisenden Plastik. Zwar wurde in der Geschichte der Skulptur den Gewändern, Falten und Schmuck eine hohe Funktion übertragen, so dass diese vom bloßen Attribut zum eigentlichen Träger eines dynamischen Ausdrucksgeschehens avancieren konnten, doch blieben sie letztlich auf die Inszenierung des menschlichen Körpers beschränkt, der den eigentlichen Anlass der Darstellung bot.
Der menschliche Körper aber verschwand bei Oldenburg vollends, und an seine Stelle traten all jene Gegenstände, die ihn umgeben, beispielsweise Kleider und Unterwäsche, die den Körper aber insofern substituierten, als sie, durch ihr ‚Atmen‘ und häufig auch durch ihre Sexualisierung, selbst wie Körper erschienen. Dadurch trat, neben die ökonomische Logik des Tauschwerts, die individuelle Ökonomie des Begehrens. Ähnliches ließe sich über Oldenburgs Transformation von Nahrungsmitteln sagen. In der Erfahrung der Store-Plastiken überlagerten sich folglich drei Dimensionen: Ihre Wahrnehmung als Kunstobjekte und sowie die Erfahrung ihrer Verführungsmacht als Ware und als ‚Körper‘. Indem Oldenburg die Energien von Ästhetik, Ökonomie und Libido ineinander fließen ließ, überblendete er einerseits die Begehrensstruktur des Warenfetischismus mit der Struktur der Kunstbetrachtung und andererseits die Qualitäten von Subjekten mit denjenigen von Objekten.

„The erotic or the sexual is the root of ‚art‘, its first impulse“, so Oldenburg. „Today sexuality is more directed, or here where I am in Am[erica] at this time, toward substitutes f[or] ex[ample] clothing rather than the person, feti[s]histic stuff, and this gives the object an intensity and this is what I try to project.“

Im Verkaufsraum des Store wurden die hergestellten Objekte zu einem gigantischen ‚Relief‘, zu einer – wie Oldenburg sagte – „super texture supercollage“ zusammengeführt. Sämtliche Objekte stellten dieselbe zerfurchte Oberfläche zur Schau, die durch die stark reflektierende Kolorierung zugleich überspielt und in Bewegung versetzt erschien. Das Kontinuum, das sich zwischen den Dingen ausbildete, verwandelte die Varianz der Objekte und Materialien in einen Kosmos desselben ‚Fleisches‘. Der Schritt in den Store war daher wie das Eindringen ins Innere eines Organismus: „Store: 1. Eros. 2. Stomach. 3. Memory. Enter my Store“, so forderte Oldenburg den Betrachter auf.

Einleitung
Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Kapitel II: Die mediale Perspektive
Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?
Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
Kapitel V: Ein konkretes Beispiel: Claes Oldenburgs ‚The Store‘
Punkt Kapitel VI: Die ‚Beseelung‘ der Dinge
Pfeil Kapitel VII: Die Störung der ästhetischen Grenze
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Claes Oldenburg The Store Kunst Ware

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Die Kunst und ihr Außen – Am Beispiel von Claes Oldenburgs The Store

in: Zwischen „U“ und „E“. Grenzüberschreitungen in der Musik nach 1950, hrsg. von Friedrich Geiger und Frank Hentschel, Frankfurt am Main 2011, S. 173 – 194.

Kapitel V: Ein konkretes Beispiel: Claes Oldenburgs The Store

Im Juni 1961 verlagerte Claes Oldenburg sein Atelier in einen Laden auf der 107 East Second Street im südlichen Teil Manhattans. In dessen rückwärtigem Raum installierte er seine so genannte ‚Ray-Gun-Manufaktur‘, deren produktiven Ausstoß er ab Dezember desselben Jahres in den vorderen Verkaufsräumen feilbot. Wer den Laden betrat, stieß auf eine Fülle an bemalten Gipsplastiken, die jene Waren nachbildeten, die auch in den Schaufenstern der benachbarten Geschäfte der Lower East Side zum Verkauf auslag: Die billige Unterwäsche und leichten Kleider der Dorchard Street, die Nahrungsauslagen in den Fastfood-Restaurants und Lebensmittelläden der Second Avenue. Oldenburgs Store offerierte mithin das gesamte Spektrum des Alltagsbedarfs.
Die Kommodifizierung des Kunstwerks ersetzte Oldenburg durch den gegenläufigen Vorgang einer Transformation des Konsumguts: Der Akt der Nachahmung verwandelte standardisierte Massenprodukte in handgemachte Unikate, die individuelle Merkmale aufwiesen. Dadurch, dass sich Oldenburgs Faszination für die Konsumgüter nicht durch Konsumzwänge, sondern (für einen Künstler durchaus naheliegend) durch Produktionshandlungen kundgab, entzog er sich subversiv den Verführungskünsten von Werbung und Ware: „[F]or all these radiant commercial articles in my immediate surroundings I have developed a great affection, which has made me want to imitate them. […] And the effect is: I have made my own Store“.
Der Mimetismus des Store betraf jedoch nicht nur die Konsumgüter selbst. Ebenso auffällig war Oldenburgs performative Nachahmung der unterschiedlichen mit ihnen verbundenen Tätigkeitsfelder: Er war ebenso der Hersteller wie der Händler seiner Waren, der Direktor der ‚Ray-Gun-Manufaktur‘ wie zugleich dessen (einziger) Angestellter – eine vorkapitalistische, die Produktionsmittel selbst kontrollierende Wirtschaftsstruktur. Zudem erlaubte ihm das breite Sortiment des Store, mehrere Produzentenrollen zugleich anzunehmen – er war Konditor, Schneider, Brautausstatter, Fleischer und Schuster in Personalunion. Neben der handwerklichen Herstellung und dem Vertrieb seiner Produkte oblagen ihm auch das Marketing, die Finanzplanung sowie die Buchhaltung über die Geschäfte. Oldenburg ließ sogar Plakate und Visitenkarten drucken. Damit schwankte seine Figur zwischen Künstlersubjekt, Galerist und Kleinunternehmer.
Oldenburg hatte also den Galeriekontext räumlich aufgegeben, von der Kunstwelt Abstand genommen und sich in einem ‚wirklichen‘ Laden in einem verwahrlosten Downtown-Bezirk niedergelassen. Die Produkte, die er zum Verkauf anbot, verwiesen unmittelbar auf die Konsumkultur der sie umgebenden Warenwelt, wodurch die innerhalb der westlichen Gesellschaften verbreitete bürgerliche Vorstellung von der Kunst als einer außerökonomischen Wertsphäre nachhaltig brüskiert wurde. Indem Oldenburg Kunstwerk und Konsumgut, Atelier und Manufaktur, Galerie und Laden engführte, legte er allerdings nur dasjenige offen, was für den Kunstbetrieb ohnehin vorausgesetzt werden muss, jedoch durch den ideologischen Zuschnitt des White Cube gemeinhin verschleiert wurde: dass das Kunstwerk immer schon Teil der Warenzirkulation ist. „[T]hings are displayed in galleries, but that is not the place for them. A store would be better“, so Oldenburg. „Museum in bourgeois concept equals store in mine.“
Indem Oldenburg den Kunstcharakter seines Projekts durch die ökonomische Zurichtung strapazierte, wurde das bürgerliche Publikum auf das Paradox kapitalistischer Gesellschaftsformen hingewiesen, das ökonomische Prinzip universell anzuerkennen und zugleich – in der idealistischen Sphäre der Kunst – als außer Kraft gesetzt zu betrachten. Indem Oldenburg seine Galerie als einen banalen Einzelhandel tarnte, verweigerte er die ästhetische Sublimierung des Artefakts und widersetzte sich dem konventionellen Kunstbegriff. Denn dieser Kunstbegriff, der in der ‚Autonomie der Kunst‘ seine Ausformulierung fand, postulierte zwar erst die Freiheit der Kunst von allen praktischen, ethischen, politischen oder ökonomischen Verpflichtungen, schloss sie dadurch aber aus eben diesen gesellschaftlichen Bereichen zugleich aus. Die Autonomie resultierte in einer teils selbstverschuldeten, teils erzwungenen Beschränkung und Relativierung des eigenen Geltungsbereichs. Um den Kunststatus seines Projektes vor dem Hintergrund dieses konservativen Kunstbegriffs unsicher werden zulassen, um Erwartungshaltungen zu durchkreuzen und die Widerständigkeit seines Werkes zu gewährleisten, beschritt Oldenburg also den scheinbar affirmativen Weg, sich in die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu reintegrieren. Damit hob er zwar die bestehende Ordnung nicht auf, unterwanderte sie aber zumindest. Er agierte, wie er selbst sagte, „getarnt“: „The artist must practice disguises. When his intentions are best, he must appear the worst.“

Einleitung
Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Kapitel II: Die mediale Perspektive
Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?
Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
Punkt Kapitel V: Ein konkretes Beispiel: Claes Oldenburgs ‚The Store‘
Pfeil Kapitel VI: Die ‚Beseelung‘ der Dinge
Kapitel VII: Die Störung der ästhetischen Grenze
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Kunst Design Werbung Comic

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Die Kunst und ihr Außen – Am Beispiel von Claes Oldenburgs The Store

in: Zwischen „U“ und „E“. Grenzüberschreitungen in der Musik nach 1950, hrsg. von Friedrich Geiger und Frank Hentschel, Frankfurt am Main 2011, S. 173 – 194.

Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen

Es bleibt die Frage danach, ob wir etwa in Design, Werbung und Comic die gesuchte Entsprechung zur U-Musik finden. Gewiss sammeln Institutionen wie das Museum of Modern Art neben der bildenden Kunst auch Designobjekte, Plakate und Comics. Und so wie es dem Kunden im CD-Laden überlassen bleibt, nach links in die Abteilung für ‚Neue Musik‘ oder aber nach rechts in den Schlager-Sektor abzubiegen, steht es dem Besucher des MoMA frei, italienisches Autodesign der 1950er Jahre zu bewundern, falls er kein Verlangen nach Malerei verspürt. Doch diese Sammlungsbereiche sind nicht Unterhaltungskunst in Abgrenzung zu ernster Kunst. Die Institutionen und Diskurse ordnen die Grenzen hier anders: Sie verlaufen schlicht und einfach zwischen Kunst und allem anderen. Das degradiert die Designobjekte keinesfalls, weder materiell noch ideell. Es handelt sich um eine wertfreie Kategorisierung, nicht um eine Hierarchisierung von Objekten. Die beiden Bereiche – hier die Kunst, dort ihr Außen – werden nicht wie bei der Musik durch den kategorialen Überbegriff ‚Bildende Kunst‘ zusammengehalten, um dann sekundär in Unterkategorien aufgeteilt zu werden. Die unterschiedlichen Sammlungsteile des MoMA werden lediglich überwölbt von einem verallgemeinerten Begriff des Ästhetischen und einem unscharfen Begriff gestalteter Form.
Was die Kunstentwicklung des 20. Jahrhunderts vorantrieb, waren dementsprechend nicht allein die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen künstlerischen Subfeldern, sondern darüber hinaus der weite Bereich des Visuellen und Dinghaften jenseits der Kunst: der Bereich der Nicht-Kunst in tausenderlei Gestalt – gewissermaßen die Welt selbst. Für Marcel Duchamp waren es gewöhnliche Industrieprodukte wie eine Schneeschaufel oder ein Kamm, für die Surrealisten Schaufensterpuppen, für den späten Piet Mondrian der Straßenverkehr New Yorks, für die Pop-Künstler Comics und Werbeplakate, für die Nouveau Réalistes ein abgegessener Restauranttisch oder ein geschreddertes Automobil. Aufgrund der radikalen Offenheit und Nicht-Systematisierbarkeit dessen, was die Kunst an Nicht-Künstlerischem in immer neuen Schüben integrierte, wurde das Spiel der Grenzüberschreitung nicht nur zwischen distinkten künstlerischen Sub-Feldern gespielt, sondern insbesondere auch an der Grenze der Kunst. Diese Differenz zwischen Musik und bildender Kunst scheint so grundsätzlich zu sein, dass sie auch dann noch relevant bleibt, wenn man das musiksystematische ‚U-versus-E‘-Modell mit Blick auf das tatsächliche Musikgeschehen als verkürzend oder gar ideologisch kritisiert.
Es gibt immer mehrere Möglichkeiten, die Grenzüberschreitungen der bildenden Kunst in Richtung Nicht-Kunst zu verstehen: Man kann sie erstens kulturhistorisch deuten, und zwar als die Neuausrichtung künstlerischer Sensibilität angesichts zivilisatorischer Umbrüche, welche die Weltwahrnehmung insgesamt verändern. Sie erscheinen dann als Reaktionen auf eine andere Wirklichkeit, mit der sich auch die künstlerische Form zu ändern hat. Grenzüberschreitungen lassen sich zweitens als markanter Positionsbezug innerhalb des künstlerischen Feldes verstehen, als Bezug einer noch unbesetzten Position, die Inhalte oder Materialien aufnimmt, welche vormals als außerkünstlerisch galten. Drittens lassen sich Grenzüberschreitungen aber auch als (neo-)avantgardistische Strategie der Verschmelzung von Kunst und Leben auffassen, die sich gegen die Entfremdung des künstlerischen Tuns von den sonstigen gesellschaftlichen Prozessen wendet und damit bewusst dessen autonomen Status überschreiten möchte. Verbunden damit erscheinen sie als kritische Intervention in die Wirklichkeit gesellschaftlicher bzw. künstlerischer Ordnungen. Sämtliche dieser Motivationen der Grenzstörung haben erfahrungsästhetisch zur Folge, dass das Kunstwerk in seinem Status unsicher wird und zu oszillieren beginnt. Kunststrategische sowie realistisch-wirklichkeitsbezogene Motivationen der Grenzüberschreitung können sich dabei, wie abschließend anhand von Claes Oldenburgs The Store aufgezeigt werden soll, vielfältig überlagern.

Einleitung
Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Kapitel II: Die mediale Perspektive
Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?
Punkt Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
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Kapitel VI: Die ‚Beseelung‘ der Dinge
Kapitel VII: Die Störung der ästhetischen Grenze
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Kunst Publikum Museum documenta Pop Art

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Die Kunst und ihr Außen – Am Beispiel von Claes Oldenburgs The Store

in: Zwischen „U“ und „E“. Grenzüberschreitungen in der Musik nach 1950, hrsg. von Friedrich Geiger und Frank Hentschel, Frankfurt am Main 2011, S. 173 – 194.

Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?

Rund 70 Millionen Menschen gehen in Deutschland jährlich in Kunstmuseen – eine Zahl, die annähernd mit den Stadionbesuchen einer Bundesligasaison gleichzieht. Die letzte documenta zählte rund 750 000 Besucher, 60 000 Menschen waren auf der kommerziellen Art Basel Miami (2007). Eine Blockbuster-Ausstellung wie Das MoMA in Berlin (2004) vermag bis zu 1,2 Millionen Interessierte anzuziehen.
Gleichwohl ist das Kunstpublikum, insbesondere gegenüber den Konsumenten populärer Musik, auch heute noch ein beschränkteres und elitäreres, was sich anhand der enormen Absatzzahlen von Tonträgern und der Proliferation von Musikdatenbanken im Internet nachweisen lässt. Jede U-Bahnfahrt inmitten iPod-hörender Fahrgäste führt die von der bildenden Kunst nie erreichte Breitenwirkung der Musik anschaulich vor. Auch gegenüber dem Fernsehen ist die Reichweite von Kunstausstellungen relativ gering. So erreichten die Einschaltquoten der ersten Staffel von ‚Deutschland sucht den Superstar‘ (2003) – im weitesten Sinne eine populärmusikalische Sendung – den Spitzenwert von 15,01 Millionen Zuschauern. Tatsächlich kann derzeit von einer universellen Anerkennung gerade zeitgenössischer Kunst nicht die Rede sein: Sie hat lediglich für einen kleinen gebildeten Teil der Gesellschaft Geltung. Sobald man diese Öffentlichkeit von informierten Personen verlässt, ist es mit dem Interesse für die zeitgenössische Kunst vorbei. Gerade weil sie von überprüfbaren handwerklichen Kriterien abgelöst ist, kämpft sie insbesondere bei denjenigen, deren Qualitätsverständnis vom Handwerk abgeleitet ist, nach wie vor um Anerkennung. Um es mit Adorno zu formulieren: „Die Reinheit der bürgerlichen Kunst, die sich als Reich der Freiheit im Gegensatz zur materiellen Praxis hypostasierte, war von Anbeginn mit dem Ausschluss der Unterklasse erkauft.“
Richtiggehend ‚populär‘ war selbst die Pop Art, anders als es ihr Name suggeriert, nicht. Populär war ihr ikonografischer Bezug auf die moderne Warenwelt. Unpopulär aber blieb an ihr, dass sie diese Warenwelt gegen ihre Selbstverständlichkeit thematisierte. Wie die zeitgleich entstehende Konzeptkunst befragte auch die Pop Art die kulturellen, institutionellen und diskursiven ‚Rahmungen‘, in denen die Produktion und die Rezeption von Kunst stattfanden. Sie setzte sich, kalkuliert oder unfreiwillig, zwischen die Stühle. Tatsächlich öffnete sie die ‚high art‘ auf Bereiche der ‚low culture‘, die vormals ausgeschlossen waren. Sie integrierte allerdings keine andere Kunst, analog zu den musikalischen Paarungen von ‚E‘ und ‚U‘, sondern das vermeintlich Andere der Kunst, also Werbung, Waren, Filmstills usw. Daher war der Tabubruch der Pop Art besonders gravierend: Sie wandte sich einem Bereich zu, der nach dem damaligen Kunstverständnis das glatte Gegenteil von Kunst darstellte. Die Verteidiger einer elitären Kunst kritisierten diese Banalisierung der künstlerischen Inhalte, das breitere Publikum hingegen war irritiert von dem intellektuellen Spiel der Pop-Künstler. Dieses Spiel bezog sich nicht nur auf die Gegenstände der Kunst, die eigentümlich verfremdet wurden, sondern auch auf die Idee des Künstlers und des Kunstwerks. Die Akzeptanz der Pop Art beruhte mithin auf Voraussetzungen, die nur jene mitbrachten, welche in die Regeln der Grenzstörung von ‚high art‘ und ‚low culture‘ eingeweiht waren. Hierzu musste man ‚cultivated‘ sein: kultiviert in der Geschichte und Ästhetik der Kunst des 20. Jahrhunderts.
Doch wie steht es um jene Bilder und Plastiken, die in vielen deutschen Wohnzimmern die Wände schmücken? Gewiss gibt es für derartige Objekte einen nicht unbedeutenden Markt, der weniger über Galerien, sondern vorzugsweise über Versandhäuser abgewickelt wird, wo sich teuer gerahmte dekorative Ölgemälde und sorgfältig gegossene Bronzeskulpturen zu nicht geringen Preisen bestellen lassen. Handelt es sich hierbei um ‚populäre Kunst‘?
Das Problem, solche Produkte mit der Populärmusik zu vergleichen, stellt sich auf zwei Ebenen: Erstens entstehen diese Werke nicht autonom, zumeist sind die Autoren nicht einmal namentlich bekannt. Anders als in der Popmusik existieren weder Starkult noch kritische Öffentlichkeit, keine Kunstkritiken werden über sie verfasst, keine Symposien haben sie zum Gegenstand, keine Fangemeinden bilden sich um sie herum. Zweitens etablieren diese visuellen Ausdrucksformen keine eigenen künstlerischen Maßstäbe, sondern stellen bloße Derivate der Kunstproduktion dar. Diese Objekte sind, obschon als Originale angepriesen, epigonale Nachschöpfungen. Sie orientieren sich an der Geschichte der Kunst, wenn es sich nicht ganz direkt um Reproduktionen von berühmt gewordenen Meisterwerken der Kunstgeschichte handelt. Damit beweisen sie kein eigenes Innovationspotenzial, sondern bieten letztlich nur die teurere Variante jener Kunstdrucke und Kalenderblätter, die Künstlern wie Kandinsky, Klee oder Matisse mittlerweile selbst den Status von ‚Pop-Künstlern‘ beschert haben. Doch deren Werke mussten erst den Kunststatus durch museale Adelung erhalten haben, bevor sie popularisiert werden konnten. Die Konstellation von zwei Subfeldern, die mit dem ‚unterhaltenden‘ und ‚ernsthaften‘ Sektor der Musik vergleichbar sind und je autonome und autopoietische Strukturen aufweisen, gibt es im Feld der bildenden Kunst also auch unter diesem Aspekt nicht.

Einleitung
Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Kapitel II: Die mediale Perspektive
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Kunst Objekt Kunstmesse Auktion

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Kapitel II: Die mediale Perspektive

Diese Feststellung führt uns zu den medialen Eigenheiten von Kunst und Musik: In den bildenden Künsten handelt es sich weithin (und trotz vieler Anstrengungen der Avantgarden, gegen diesen Sachverhalt anzukämpfen) um einmalige Objekte, die unter eindeutigen Eigentumsverhältnissen stehen. Dieser Dingcharakter des Kunstwerks führt nicht nur zu seiner spezifischen Warenform, vielmehr kann das Kunstwerk den Charakter einer Aktie annehmen, deren Wert von der Entwicklung und Vermarktung des Künstlers abhängt. Selbst dort, wo sich die Kunst wie die Musik auf reproduktive Massenmedien stützt (Grafiken, Videos, Fotografien), stößt man im Allgemeinen auf limitierte Auflagen, durch die sich der Unikatcharakter und damit die ‚auratische‘ Qualität des Kunstwerks als raumzeitliche Singularität wieder herstellt.
Auf den populären Kunstmessen, etwa der Art Basel, sind bedeutende Arbeiten bereits vor Messebeginn reserviert, wenige Stunden nach der Eröffnung sind viele Stände komplett ausverkauft, wobei sogenannte ‚signature pieces‘, die Arbeiten von gerade angesagten Künstlern, besonders stark umkämpft sind. Hier dominiert allein die Binarität von A- und B-Ware, hoher und niedriger Rentabilität. Wer auf dem Markt etabliert ist, steigt immer weiter im Preis. Dies erzeugt einen ‚Winner-takes-it-all-Effekt‘, eine enorme preisliche Differenz zwischen ‚billiger‘ und ‚teurer‘ Kunst.
Noch eindeutiger präsentiert sich der Waren- bzw. Aktiencharakter der Kunstwerke im secondary market der Auktionshäuser. 2007 setzten die New Yorker Herbst-Auktionen rund 1,3 Milliarden Dollar um, wobei ein enormer Preisanstieg zu verzeichnen war. Die Werke der bildenden Kunst sind in ganz besonderem Maße Gegenstände der Spekulation, wobei an diesen Transaktionen selbst Hedge-Fonds beteiligt sind; dies erklärt auch, weshalb Einbrüche an den Devisenmärkten solche an den Kunstmärkten unmittelbar nach sich ziehen.
Wie das ökonomische System der Musik, so gehorcht also auch das ökonomische System der bildenden Kunst einer Logik des Tauschwerts, welche die soziale Ökonomie des Statuswerts sowie die individuelle Ökonomie des Begehrens einschließt. Doch ist die soziale Zugangsschwelle zum Markt der bildenden Kunst weit höher als zu dem der massenmedial verbreiteten musikalischen Produktion, denn schon das Gemälde eines unbekannten Künstlers kostet, erworben in einer Galerie, mindestens einen vierstelligen Euro-Betrag. Durch den Besitz von Kunst artikulieren sich also soziale Tatsachen: Wer Kunst bei sich zuhause haben möchte, muss einen hohen ‚Mitgliedsbeitrag‘ entrichten, den sich nicht jeder leisten kann. Mehr als musikalische Produktionen, deren wirtschaftliche Rentabilität von der massenweisen Verbreitung von Reproduktionsmedien und damit in einem viel höherem Maße vom Zuspruch eines großen Publikums abhängt, wird der Wert eines Kunstwerks in einem schwer durchschaubaren Marktgeschehen ausgehandelt, das mit demjenigen anderer knapper Güter vergleichbar ist.
In Museen und Ausstellungen werden die ökonomischen Verflechtungen und das materielle Gewicht der Sammlung allerdings weitgehend ausgeblendet und damit die Trennung von Kunst und Ökonomie scheinbar aufrecht erhalten. In den Galerien hingegen müsste man sich der wirtschaftlichen Motivation zwar eigentlich bewusst sein, doch verdrängt die Illusion des White Cube das Geschäftliche in die Hinterzimmer.

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Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Punkt Kapitel II: Die mediale Perspektive
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Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
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Kunst Institutionen Museum Kunsthandel

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Kapitel I: Die institutionelle Perspektive

In institutioneller Hinsicht scheinen die Felder der Musik und der bildenden Kunst durchaus ähnlich strukturiert zu sein, denn beide weisen eine binäre Gliederung auf: Auf der einen Seite existiert der kommerziell ausgerichtete Handel, der sich im Falle der Kunst überwiegend aus Galerien, Auktionshäusern, Sammlern und Spekulanten rekrutiert; auf der anderen Seite findet sich, wie in der Musik, der Kreis der von ideellen Interessen geleiteten öffentlichen Institutionen – also Museen, Kunsthallen, kuratierte Ausstellungen oder Biennalen –, die versuchen, den sich aus der Verantwortung gegenüber dem Besucher ableitenden Aufgaben gerecht zu werden und ihren Informations- und Bildungsauftrag zu erfüllen.
Damit ist auch schon der Verlauf der Frontlinie ausgemacht, der von der kritischen Öffentlichkeit in den letzten Jahren nachgezeichnet wird – als eine Reaktion auf die Gewichtsverschiebung, die sich zwischen diesen beiden Institutionstypen vollzogen hat: Während die öffentlichen Einrichtungen über chronische Geldnot klagen, wächst das Volumen des privaten Kunstmarktes immer weiter an. Allerdings deckt sich die Gruppe derjenigen Künstler, die auf dem Markt die größten Profite erzielen, für gewöhnlich mit derjenigen, die auch die öffentlichen Institutionen bevorzugt zeigen oder in ihre Sammlung aufnehmen möchten. Doch die staatlichen oder städtischen Museen können im entfesselten Kunstmarkt immer seltener mithalten. Damit prägt sich eine deutliche Verschiebung kultureller Hegemoniegrenzen aus: Der Kampf um die Objekte wird im Hinblick auf die drohende Privatisierung von Bildung zu einem kunstspezifischen Problem.
Dieser Zusammenhang bringt es mit sich, dass Einrichtungen wie Museen, öffentliche Sammlungen und kuratierte Ausstellungen keinesfalls nur ihre musealen und dokumentarischen Aufgaben erfüllen, sondern ihre ökonomischen Funktionen vervielfachen. Sie spielen dabei eine durchaus fragwürdige Rolle: Neben ihrer zunehmenden Kommerzialisierung, die zu einem Zuwachs an Eigenkapital führen soll (Blockbuster-Ausstellungen, Museums- und Sammlungsbranding usw.), dienen diese Institutionen häufig auch als Instrument des Stadtmarketing. Die großen kuratierten Ausstellungen sind überdies nicht nur der Ort künstlerischer Entdeckungen, sondern zugleich der marktorientierten Platzierung: Gezeigte Werke erfahren allein durch ihre Teilhabe eine Wertsteigerung und werden von den Galerien umgehend auf den Markt geworfen. In dieser Hinsicht prekär erscheinen gerade renommierte Großausstellungen wie etwa die in Venedig stattfindende Biennale oder die documenta in Kassel.
Zwar traten die Kuratoren der letzten documenta (2007) dezidiert gegen diese Marktmechanismen an, indem sie auf unterrepräsentierte Künstler setzten – namentlich auf eine vom Mainstream vergessene experimentelle Kunst der 1960er Jahre. Doch hatte etwa die kommerziell ausgerichtete Art Basel, noch bevor die documenta 12 überhaupt eröffnete, diese ‚marktfernen‘ Künstler schon aus den Magazinen hervor – und an die Verkaufsstände geholt. In der Messeberichterstattung wurde beispielsweise immer wieder der Name Lee Lozano genannt, eine in Kassel ‚ausgegrabene‘ Künstlerin, die um 1964 mit Gemälden von sexuell aufgeladenen Werkzeugen bekannt geworden war. Auch auf der Biennale di Venezia war es möglich, sich ein Kunstwerk vorzumerken, das man womöglich Tage später auf der Art Basel erstehen konnte. Dieses Verfahren hat sich seit letztem Jahr noch weiter vereinfacht: 2007 fand in Venedig zum ersten Mal parallel zur Nationenschau der Pavillons die Verkaufsausstellung Cornice Art Fair statt. Auf diese Weise werden die kuratierten Ausstellungen vom Markt instrumentalisiert, und die beiden Sphären verflechten sich immer mehr.
Die verschobene Kräfteverteilung bringt es außerdem mit sich, dass sich Museen verstärkt als Schaufenster für private Sammlungen andienen, die im Gegenzug durch ihre museale Ausstellung nobilitiert werden und damit eine kommerzielle Aufwertung erfahren. Im Bezug auf die Friedrich Christian Flick Collection etwa, die für zunächst sieben Jahre als museale Leihgabe ans Berliner Gegenwartsmuseum Hamburger Bahnhof ging, lässt sich über Wertzuwachs nur spekulieren. Nicht selten werden Werke direkt aus Museumsausstellungen heraus verkauft, so etwa geschehen bei der Paul-McCarthy-Schau im Münchner Haus der Kunst 2005. Für den Kunstspekulanten gilt grundsätzlich: Wer zuerst von der großen Retrospektive eines Künstlers hört, kann noch günstig kaufen. Ist die Werkschau erst einmal angelaufen und der Künstler museal geadelt, kann gewinnbringend abgestoßen werden.
Dürften die ökonomischen Verwicklungen der öffentlichen Institutionen in der Sphäre der Musik und der Sphäre der bildenden Kunst in manchen Punkten durchaus vergleichbar sein (Opernhäuser als Instrumente des Stadtmarketing, ein Violinist, der die Konzertbühne als Werbefläche für seine aktuelle CD nutzt), so muss für die bildende Kunst in der Differenz zur Musik doch festgehalten werden: Sowohl die Produzenten als auch die Werke von kommerzieller und marktferner Kunst sind weitgehend identisch. Zwischen ihnen besteht keine objektive Differenz, so wie sie zweifelsohne beispielsweise zwischen den musikalischen Subsphären der Popmusik und der Neuen Musik besteht – wie auch immer deren Grenzverlauf konkret bestimmt wird. Der Unterschied zwischen kommerzieller und marktferner Kunst spiegelt lediglich unterschiedliche Funktionen vergleichbarer Werke im institutionellen Geflecht.

Einleitung
Punkt Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Pfeil Kapitel II: Die mediale Perspektive
Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?
Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
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Kunst Ökonomie Ware Design

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„The store is born in contorted drawings of the female figure and in female underwear and legs, dreams of the proletarian Venus, stifled yearnings which transmute into objects, brilliant colours and grossly sensuous surfaces.“ (Oldenburg, Notiz, New York, 1961)

Einleitung

Spätestens seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts thematisiert der kritische Diskurs über die bildende Kunst ausführlich deren ökonomische Verwicklungen, zugleich wird eine ästhetische Reflexion der Kunstwerke selbst auf ihr Verhältnis zur Konsumkultur auffällig. So lässt sich etwa beobachten, dass sich die bildende Kunst einerseits von den Gebrauchsgütern und vom Design emphatisch abgrenzte, andererseits aber diesen Grenzverlauf immer wieder in irritierender Weise inszenierte, problematisierte und revidierte. Gerade über die Auseinandersetzung mit der Warenästhetik scheint sie ihr Selbstverständnis zu überprüfen und sich gesamtgesellschaftlich zu verorten.
Die folgenden Ausführungen werden von der Annahme geleitet, dass sich diese Entwicklung als durchaus differierendes Pendant zu dem in diesem Band diskutierten Entgrenzungserscheinungen zwischen ‚populärer‘ und ‚ernsthafter‘ Musik verstehen lässt. Denn das System einer Musik, die in bestimmte Sparten und getrennte Produzenten und Öffentlichkeiten unterteilt ist und dessen Subsysteme entweder auf kommerziellen Profit und auf Massentauglichkeit ihrer Produkte oder aber auf eine elitär-hochkulturelle bzw. subkulturelle Gemeinde ‚anspruchsvoller‘ Musik zielen – dieses System scheint es im Gebiet der bildenden Kunst nicht zu geben. Die Grenzziehungen und -verwischungen verlaufen hier anders, nämlich zwischen der ‚Kunst‘ und ihrem ‚Außen‘. Um diese Annahme genauer zu begründen, sollen die institutionellen, medialen und ökonomischen Rahmenbedingungen des Feldes der bildenden Kunst beschrieben und von denen des Feldes der Musik abgegrenzt werden.
Dafür sollen einige gegenwärtige Tendenzen des Kunstmarktes sowie des Museums- und Ausstellungswesens skizziert werden, um daran anschließend am konkreten Beispiel von Claes Oldenburgs The Store die spannungsreiche Konstellation von Kunst und Konsum zu konkretisieren. Der Aufsatz ist nicht im strengen Sinne komparatistisch angelegt, sondern konzentriert sich auf die bildende Kunst. Er ist als Komplement zu den anderen, musikwissenschaftlichen Beiträgen in diesem Band konzipiert – allerdings in der Hoffnung, dass von ihm aus ein erhellendes Licht auf die Musik fällt.

Punkt Einleitung
Pfeil Kapitel I: Die institutionelle Perspektive
Kapitel II: Die mediale Perspektive
Kapitel III: Die Popularität der Kunst, oder: Gibt es in der bildenden Kunst einen Bereich des ‚U‘?
Kapitel IV: Die Kunst und ihr Außen
Kapitel V: Ein konkretes Beispiel: Claes Oldenburgs ‚The Store‘
Kapitel VI: Die ‚Beseelung‘ der Dinge
Kapitel VII: Die Störung der ästhetischen Grenze
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Der Einsatz der Autonomie. Spieldimensionen in der Kunst der Moderne

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Der Einsatz der Autonomie. Spieldimensionen in der Kunst der Moderne

in: Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Katalog Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz; Akademie der Künste, Berlin; Museum für Gegenwartskunst, Siegen, hrsg. von Nike Bätzner, Ostfildern-Ruit 2005, S. 37-46.

Inhalt:

1. Einleitung

2. Das Werk als Spiel

3. Das Spiel mit dem Betrachter

4. Der Künstler als Spieler

5. Resümee

Kunst Spiel Ernst Caillois Pfaller

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Der Einsatz der Autonomie. Spieldimensionen in der Kunst der Moderne

in: Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Katalog Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz; Akademie der Künste, Berlin; Museum für Gegenwartskunst, Siegen, hrsg. von Nike Bätzner, Ostfildern-Ruit 2005, S. 37-46.

5. Resümee

Zwei grundlegende Aspekte des modernen Verhältnisses zwischen Spiel und Kunst seien abschließend festgehalten. Erstens: Nach Caillois gehört die Kunst – ebenso wie die Arbeit – deswegen nicht in den Bereich des Spiels, weil Kunst und Arbeit Werke hervorbrächten, das Spiel aber nicht. Dieses erschöpfe sich vielmehr in der Spielbewegung, bei deren Beendigung nichts übrig bleibe und alles zum Ausgangspunkt zurückkehre. Obschon Caillois‘ Unterscheidung prinzipiell zutrifft, verschleift sie sich in der künstlerischen Moderne. Denn deren Wendung zum Prozessualen führt dazu, weniger das Gemachte, vielmehr das Machen selbst als den eigentlichen Inhalt der Kunst anzusehen. Die Form wird durch den Akt der Formation, das Werk durch dessen Performativität ersetzt. Dabei geht es nicht länger um vorgegebene Identitäten – des darzustellenden Objekts oder des darstellenden Subjekts -, sondern darum, diese im offenen Werkprozess in spielerischer Schwebe zu halten. Je mehr in der Moderne das Werk mit dem performativen Akt seiner Hervorbringung zusammenfällt, desto geringer wird die Trennschärfe zwischen Kunst und Spiel.
Zweitens: Die Zentralität der Spielkategorie für die Kunst der Moderne enthüllt das Janusgesicht ästhetischer Autonomie. Die Kunst erwirbt die Freiheit, alles in die Perspektive ihres Spiels hineinzuziehen. In ein spielerisches Verhältnis zu Haltungen, Werten, Identitäten, Gegenständen und Begriffen zu treten, eröffnet die Möglichkeit der (selbst-)kritischen und (selbst-)reflexiven Distanznahme und erzeugt jene Leichtigkeit, die jeder Zugewinn an Spielraum mit sich bringt. Allerdings erneuert eine Kunst, die sich dem Spiel verschreibt, das alte Unbehagen gegenüber ihrer möglichen Folgenlosigkeit für das Leben. Indem sie von den Zwängen und Notwendigkeiten der Welt spielerisch Abstand nimmt, erscheint sie als Bereich vermiedener Verantwortung, als spielerischer Immoralismus angesichts der drängenden Fragen einer problembeladenen Gegenwart. Doch es verhält sich womöglich genau umgekehrt. Wie Robert Pfaller herausfordernd argumentiert, gibt es keine ernstere und unbedingtere Tätigkeit als das Spiel. Gerade der Spieler ist nicht bei sich, sondern gerät zuweilen völlig außer sich. Sobald er ins Spiel eintritt, ist er nicht frei, sondern wird gänzlich vom Spiel beherrscht. Dessen selbstzweckhafter Charakter hat, so Pfaller, den tyrannischen Zug, von uns eine unbedingte Folgeleistung zu fordern, ohne dafür einen Grund anzugeben. Das Spiel entlastet uns demnach, so seine Schlussfolgerung, keineswegs vom Ernst der Wirklichkeit, sondern eröffnet vielmehr die Möglichkeit, uns in den Ernst der Wirklichkeit einzuüben, der uns, verglichen mit dem Zwang des Spiels, mit einem Male erträglich erscheint. Was Pfaller für das Spiel bemerkt, lässt sich mutatis mutandis auf die Kunst übertragen. In einer Welt, in der die Bindungen und Anforderungen immer abstrakter und relativer werden, bietet die Sinntotalität, Plötzlichkeit und Unmittelbarkeit der Kunst eine Möglichkeit, in ein unbedingtes, uns für den Augenblick des Kunstspiels gänzlich ausfüllendes Beziehungsgefüge einzutreten, dessen Erfahrung wir vielleicht ins wirkliche Leben hinüber retten können.

1. Einleitung
2. Das Werk als Spiel
3. Das Spiel mit dem Betrachter
4. Der Künstler als Spieler
Kapitel 5. Resümee
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Künstler Spieler Rolle Duchamp

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Der Einsatz der Autonomie. Spieldimensionen in der Kunst der Moderne

in: Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Katalog Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz; Akademie der Künste, Berlin; Museum für Gegenwartskunst, Siegen, hrsg. von Nike Bätzner, Ostfildern-Ruit 2005, S. 37-46.

4. Der Künstler als Spieler

Die dritte Dimension im Verhältnis zwischen Kunst und Spiel stellt die Figur des Künstlers dar. Diese dritte Dimension erschließt dem Thema eine sozio-historische Perspektive, da sie auf jenen komplexen Prozess der Autonomisierung der Kunst verweist, der seine positive Seite in der Befreiung des Künstlers aus den paternalistischen Bindungen an Herrscherhäuser oder Gildenstrukturen hat. Die negative Seite dieses Prozesses besteht in der drohenden Marginalisierung in einer Gesellschaft, deren materialistische Werte der Existenz und dem Ansehen der Künstler abträglich sind und deren Marktmechanismen häufig noch unbarmherziger ausfallen als die feudalen Verhältnisse des Ancien régime. Erst mit der ebenso ersehnten wie erlittenen Autonomisierung entsteht jenes eigengesetzlich strukturierte „Feld“ der Kunst, wie Pierre Bourdieu es nennt. Folgen wir Bourdieus Definition gesellschaftlicher Felder, dann teilen sie mit dem Spielfeld die Eigenschaft, ein Ort relationaler Interaktion zu sein. Den Relationen kommt dabei gegenüber den Menschen und Dingen der Vorrang zu, da die Menschen und Dinge durch die Relationen bestimmt werden und nicht umgekehrt. Erst im Zuge der Herausbildung eines eigenen künstlerischen Feldes mit den ihm eigenen relationalen Kräften entsteht die Figur des Künstlers, so wie wir sie heute kennen, jenseits der ehemaligen Daseinsform als Handwerker oder Höfling. Zweierlei musste sich dabei herausbilden: eine neue Funktion der Kunst und eine neue gesellschaftliche Rolle des Künstlers. Letzteres aber führt dasjenige Spiel in die Kunst ein, das Roger Caillois als eine der vier Grundformen des Spiels bestimmte: das Rollenspiel. Es dürfte kaum gelingen, alle Rollen aufzulisten, die von den Künstlern der Moderne probeweise angenommen wurden, eben weil die Gesellschaft keine originäre Rolle und Funktion für den Künstler bereithielt. Sie reichen vom Dandy (Edouard Manet) bis zur Maschine (Andy Warhol), vom Sozialutopisten (Joseph Beuys) bis zum Zirkusartisten (der frühe Pablo Picasso), vom Intellektuellen (Joseph Kosuth) bis zum Museumsdirektor (Marcel Broodthaers), vom Ethnologen (Robert Smithson) bis zur Enzyklopädistin (Hanne Darboven). Viele dieser Rollen bilden einen Reflex auf die gespaltene Position des Künstlers, einerseits Teil der Gesellschaft sein zu wollen, andererseits außerhalb ihrer stehen zu müssen.
In der besonders reichen Rollenkollektion, die sich Marcel Duchamp im Laufe seines Lebens zulegte, kommt die Figur des Spielers auch selbst vor – bezeichnenderweise in der doppelten Ausprägung als Strategiespieler (Schach) und Glücksspieler (Roulette), womit zugleich die Pole von Duchamps Umgang mit der Kunst benannt sind. Duchamps einzigartige Fähigkeit bestand darin, die Kunstpraxis der Moderne von außen wie eine Spielanordnung zu sehen, während er sich zugleich als Spieler darin bewegte. Gerade weil er die Gesetze des Modernismus kannte – die Ich-Bezogenheit der Expression, die idée fixe des Fortschritts, das bürgerliche Streben nach Ansehen, den ästhetischen Moralismus der reinen Form oder den Glauben an die soziale Sprengkraft künstlerischer Praxis -, gelangte er zu jener souveränen, nach allen Seiten hin spielverderberischen Autonomie, die sein Lebenswerk auszeichnet. In ihm durchdringen sich die transitive und die intransitive Dimension des Spiels. Zum einen summiert sich sein Œuvre zu einem beständigen Spiel mit den Regeln der Kunst. Zum anderen zeigt sich die intransitive Bewegung eines in sich zurücklaufenden Hin und Her in jenem „Atmen“, das er nicht nur seinen Werken zuschrieb, sondern in späten Jahren sogar als seine eigentliche Tätigkeit bezeichnete. So unterlief Duchamp sogar das Grundprinzip der künstlerischen Tätigkeit: das Produzieren selbst. Sein größtes Werk sei die Art und Weise, wie er sich die Zeit vertreibe, sagte sein langjähriger Freund Henri-Pierre Roché. Duchamps Bruder Jacques Villon drückte es drastischer aus. Er beschrieb diesen größten Spieler unter den Künstlern des 20. Jahrhunderts als jemanden, „der alles tut, als ob es ihm stets nur darum ginge, die Zeit totzuschlagen“.

1. Einleitung
2. Das Werk als Spiel
3. Das Spiel mit dem Betrachter
Kapitel 4. Der Künstler als Spieler
Kapitel 5. Resümee
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