Kunst Spiel Ernst Caillois Pfaller

Der Einsatz der Autonomie als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 3.054 KB)

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Der Einsatz der Autonomie. Spieldimensionen in der Kunst der Moderne

in: Faites vos jeux! Kunst und Spiel seit Dada, Katalog Kunstmuseum Liechtenstein, Vaduz; Akademie der Künste, Berlin; Museum für Gegenwartskunst, Siegen, hrsg. von Nike Bätzner, Ostfildern-Ruit 2005, S. 37-46.

5. Resümee

Zwei grundlegende Aspekte des modernen Verhältnisses zwischen Spiel und Kunst seien abschließend festgehalten. Erstens: Nach Caillois gehört die Kunst – ebenso wie die Arbeit – deswegen nicht in den Bereich des Spiels, weil Kunst und Arbeit Werke hervorbrächten, das Spiel aber nicht. Dieses erschöpfe sich vielmehr in der Spielbewegung, bei deren Beendigung nichts übrig bleibe und alles zum Ausgangspunkt zurückkehre. Obschon Caillois‘ Unterscheidung prinzipiell zutrifft, verschleift sie sich in der künstlerischen Moderne. Denn deren Wendung zum Prozessualen führt dazu, weniger das Gemachte, vielmehr das Machen selbst als den eigentlichen Inhalt der Kunst anzusehen. Die Form wird durch den Akt der Formation, das Werk durch dessen Performativität ersetzt. Dabei geht es nicht länger um vorgegebene Identitäten – des darzustellenden Objekts oder des darstellenden Subjekts -, sondern darum, diese im offenen Werkprozess in spielerischer Schwebe zu halten. Je mehr in der Moderne das Werk mit dem performativen Akt seiner Hervorbringung zusammenfällt, desto geringer wird die Trennschärfe zwischen Kunst und Spiel.
Zweitens: Die Zentralität der Spielkategorie für die Kunst der Moderne enthüllt das Janusgesicht ästhetischer Autonomie. Die Kunst erwirbt die Freiheit, alles in die Perspektive ihres Spiels hineinzuziehen. In ein spielerisches Verhältnis zu Haltungen, Werten, Identitäten, Gegenständen und Begriffen zu treten, eröffnet die Möglichkeit der (selbst-)kritischen und (selbst-)reflexiven Distanznahme und erzeugt jene Leichtigkeit, die jeder Zugewinn an Spielraum mit sich bringt. Allerdings erneuert eine Kunst, die sich dem Spiel verschreibt, das alte Unbehagen gegenüber ihrer möglichen Folgenlosigkeit für das Leben. Indem sie von den Zwängen und Notwendigkeiten der Welt spielerisch Abstand nimmt, erscheint sie als Bereich vermiedener Verantwortung, als spielerischer Immoralismus angesichts der drängenden Fragen einer problembeladenen Gegenwart. Doch es verhält sich womöglich genau umgekehrt. Wie Robert Pfaller herausfordernd argumentiert, gibt es keine ernstere und unbedingtere Tätigkeit als das Spiel. Gerade der Spieler ist nicht bei sich, sondern gerät zuweilen völlig außer sich. Sobald er ins Spiel eintritt, ist er nicht frei, sondern wird gänzlich vom Spiel beherrscht. Dessen selbstzweckhafter Charakter hat, so Pfaller, den tyrannischen Zug, von uns eine unbedingte Folgeleistung zu fordern, ohne dafür einen Grund anzugeben. Das Spiel entlastet uns demnach, so seine Schlussfolgerung, keineswegs vom Ernst der Wirklichkeit, sondern eröffnet vielmehr die Möglichkeit, uns in den Ernst der Wirklichkeit einzuüben, der uns, verglichen mit dem Zwang des Spiels, mit einem Male erträglich erscheint. Was Pfaller für das Spiel bemerkt, lässt sich mutatis mutandis auf die Kunst übertragen. In einer Welt, in der die Bindungen und Anforderungen immer abstrakter und relativer werden, bietet die Sinntotalität, Plötzlichkeit und Unmittelbarkeit der Kunst eine Möglichkeit, in ein unbedingtes, uns für den Augenblick des Kunstspiels gänzlich ausfüllendes Beziehungsgefüge einzutreten, dessen Erfahrung wir vielleicht ins wirkliche Leben hinüber retten können.

1. Einleitung
2. Das Werk als Spiel
3. Das Spiel mit dem Betrachter
4. Der Künstler als Spieler
Kapitel 5. Resümee
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