Kennedy Ermordung Fernsehen Transformation Politik

Ereignis und Medialität (PDF mit Abb. u. Fn.)

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Ereignis und Medialität. Andy Warhols „Jackie (The Week That Was)“

in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370.

Kapitel 2: Mediale Transformationen der Politik

Die vom Attentat ausgelöste Krise wird zumindest vom Fernsehen meisterlich bewältigt. Kurz nach Kennedys Tod beschließen die drei landesweit sendenden Kanäle ABC, CBS und NBC, alle laufenden und geplanten Programme auszusetzen und bis zum Begräbnis am Montag auf Direktsendung zu schalten. So entsteht die bis heute längste und aufwendigste Live-Sendung der Fernsehgeschichte: »Ich kenne nichts, was zuvor oder danach diese Spitzenleistung erreichte. […] Ich war für die gesamte Berichterstattung verantwortlich. Es war eine schwierige Aufgabe, aber jedermann kooperierte; wir hatten Kameras an allen Orten, wir hatten Leitungen von überall her – die Berichterstattung und die Zusammenarbeit des Fernsehens war einfach absolut großartig«, so beschreibt J. Leonard Reinsch, Kennedys Medienberater, die damalige Aufgabe. Die Vorfälle dieses Wochenendes transformieren sich bereits im Augenblick ihres Geschehens in ein Medienereignis, der historische Einschnitt der Ermordung Kennedys wird zum Höhepunkt der Fernsehgeschichte. Er schließt sogar einen sensationellen Live-Augenblick ein: Während ABC und CBS am Sonntag den eintönigen Vorbeizug der Trauernden am Sarg zeigen, schaltet NBC auf die Überführung Lee Harvey Oswalds ins Bezirksgefängnis. So können die Zuschauer dieses Senders dessen Erschießung in der Tiefgarage des Polizeihauptquartiers von Dallas unmittelbar mitverfolgen.
Das Fernsehen dokumentiert das Geschehen nicht nur, sondern übernimmt zugleich eine bislang unbekannte Rolle im politischen und emotionalen Leben der Nation. Reinsch nennt sie die Herstellung einer »Gemeinschaft der Anteilnahme«, bei der zum Beispiel die Bilder von Kennedys Lieblingspferd Black Jack, das dem Sarg auf dem Weg zum Kapitol folgt, oder von seinem dreijährigem Sohn, der beim Wegfahren des Leichenwagens zum Friedhof salutiert, eine Schlüsselrolle spielen: »Alle – ob sie nun in Atlanta, Georgia, in New York City oder in Keokuk, Iowa, waren – empfanden und fühlten wie ein einziger Mensch. Sie fanden zusammen in ihrer Trauer um die ermordete Führerfigur, und sie spürten, dass sie an dieser tragischen Zeremonie beteiligt waren. […] Das Fernsehen brachte sie an Ort und Stelle. Der Anblick dieses reiterlosen Pferdes auf der Pennsylvania Avenue musste einem das Herz zusammendrücken, und den kleinen John-John salutieren zu sehen war schlicht ein weltweiter Gefühlsappell.«
Der kontinuierliche Bilderfluss sollte den Schock des plötzlichen politischen Vakuums regelrecht überspielen. Einerseits wird die unverzügliche und unbestrittene Übertragung der Macht auf den Vizepräsidenten für alle sichtbar vorgeführt, andererseits Jacqueline Kennedy in den Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit gerückt: als Garantin der Kontinuität sowie als emotionale Identifikationsfigur, in deren Trauer und Tapferkeit sich die Gefühle der Nation spiegeln können. Geschieht auf der Washingtoner Trauerbühne gerade nichts Neues, was in diesen vier Tagen häufig der Fall ist, werden die vergangenen Szenen des Wochenendes erneut gezeigt. Die unablässige Wiederholung der Bilder und Meldungen wird, wie Zeitgenossen bezeugen, zu einem wesentlichen Bestandteil der Erinnerung an diese Zeit. Auch mit dieser Redundanz hilft das Fernsehen bei der Bewältigung des Unfassbaren.
Zur media coverage der Ereignisse, wie es im Englischen so passend heißt, tragen auch die Printmedien bei, an erster Stelle die damals weltgrößte Wochenzeitschrift Life mit ihrer Auflage von knapp zehn Millionen Exemplaren. Die Ausgaben vom 29. November und 6. Dezember 1963 bringen ausführliches Bildmaterial über den Mord und die Trauerfeierlichkeiten, dem Warhol fünf der acht Vorlagenbilder entnimmt. Doch schon die nächstfolgende Ausgabe vom 13. Dezember markiert den vollzogenen Übergang. Auf dem Titelbild zeigt sich Johnson im Oval Office hinter dem präsidialen Schreibtisch, der Leitartikel trägt die Schlagzeile »Johnson on the Job«. Wie weit die stillschweigende Allianz zwischen Massenmedien und Regierungsbemühungen ging, um Ruhe und Sicherheit im Land zu gewährleisten – was nicht zuletzt bedeutete, die offizielle Darstellung von Lee Harvey Oswalds Einzeltäterschaft ohne jeden Verschwörungshintergrund zu stützen –, offenbart sich im Coup der Zeitschrift Life, die sich am Tag nach dem Attentat für eine hohe Geldsumme jenen Super-8-Film sicherte, den der Kleiderfabrikant Abraham Zapruder aus nächster Nähe am Tatort aufgenommen hatte und der bis heute das Hauptdokument für den Attentatsverlauf darstellt. Während das FBI die Kopien beschlagnahmt, erwirbt Life den Originalfilm und druckt in seinen Ausgaben vom 29. November und 6. Dezember einige der Einzelbilder ab, allerdings ohne die Einzelbildnummern, welche deren Reihenfolge beglaubigt hätten, sowie unter Auslassung derjenigen frames, welche die These von Oswalds Einzeltäterschaft hätten unterlaufen können. Mit einer Formulierung Jacques Derridas kann man den Bezug zwischen Ereignis und Medialität, so wie er sich in jenen Tagen darstellt, vielleicht am bündigsten erfassen: »Alles fängt mit der Reproduktion an. Immer schon, das heißt als Niederschlag eines Sinns, der nie gegenwärtig war, dessen bedeutete Präsenz immer ›nachträglich‹, im Nachhinein und zusätzlich rekonstituiert wird.«
Was die Leistung der Medien anbelangt, kam Kennedys Präsidentschaft zu einem würdigen Abschluss. Er war der erste Präsident, der die Bedeutung und die Möglichkeiten des neuen Mediums Fernsehens erkannt und zielstrebig eingesetzt hat. Insbesondere im Wahlkampf 1960 wusste er es klug zu nutzen. Dass Kennedy das erste und entscheidende der neu geschaffenen Fernsehduelle zwischen den Spitzenkandidaten gewinnen konnte, lag vor allem an seiner außerordentlichen Telegenität, die seinem Kontrahenten Nixon abging. Dank zugespielter Informationen der Fernsehgesellschaft CBS vermochte er diesen Vorteil auszubauen. Er hatte davon Kenntnis erhalten, dass die Studiowand, vor der die Redner während der Debatte stehen sollten, weiß gestrichen und der Auftritt von starken Scheinwerfern beleuchtet sein würde. So erschien er im dunklen Anzug und von einer Wahltournee in Kalifornien frisch gebräunt. Während er sich den Zuschauern auf diese Weise als »profilierte« Gestalt präsentieren konnte, verschwamm Nixon in seinem hellen Jackett förmlich im Hintergrund. Das grelle und heiße Scheinwerferlicht ließ ihn, der gerade einen Krankenhausaufenthalt hinter sich hatte, wächsern und unrasiert erscheinen, die auf die Stirn tretenden Schweißperlen erzeugten den Eindruck geringerer Standfestigkeit. Die besseren Argumente, die ihm die politischen Kommentatoren danach zubilligten, unterlagen dieser optisch eindeutigen Situation. Eine Blitzumfrage nach dem Rededuell ermittelte bei denjenigen, welche die Debatte am Radio verfolgt hatten, Nixon als Sieger, während die schätzungsweise 74 Millionen Fernsehzuschauer sich klar für Kennedy aussprachen. Der bis dahin national weit weniger bekannte Kennedy hatte nun erstmals einen Vorsprung auf seinen Konkurrenten gewonnen, den er nicht mehr verlieren sollte. Angesichts der Tatsache, dass Kennedy mit einer Mehrheit von lediglich rund einhunderttausend Stimmen gewählt wurde (34.221.463 gegen 34.108.582 Stimmen), wird die Bedeutung des Fernsehduell-Sieges evident. Ereignisse dieser Art markieren die umfassende Veränderung der politischen Kultur durch das Fernsehen, die nicht nur eine Medialisierung, sondern vor allem eine Personalisierung und Emotionalisierung der Politik bewirkt.

Einleitung
Kapitel 1: Warhols Umgang mit dem dokumentarischen Material
Event and Mediality Kapitel 2: Mediale Transformationen der Politik
Event and Mediality Kapitel 3: Sichtbarkeitsverweigerung
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Ereignis und Medialität (PDF mit Abb. u. Fn.)

Kennedy Dallas Ermordung Warhol Medien

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Ereignis und Medialität. Andy Warhols „Jackie (The Week That Was)“

in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370.

Kapitel 1: Warhols Umgang mit dem dokumentarischen Material

Am Freitag, den 22. November 1963 wird Präsident John F. Kennedy, der sich auf Vorwahlkampfreise durch Texas befindet, während der mittäglichen Paradefahrt durch Dallas im offenen Wagen erschossen. Die Ereignisse folgen darauf Schlag auf Schlag: Bereits drei Stunden nach dem Attentat wird Vizepräsident Lyndon B. Johnson an Bord des präsidialen Flugzeuges in Gegenwart der Witwe Jacqueline Kennedy vereidigt. Anschließend fliegt der neue Präsident unverzüglich nach Washington, um sich Kennedys Kabinett zu verpflichten und die Fortführung von dessen Politik anzukündigen. Kennedys Leiche, die in der Präsidentenmaschine mitflog, wird derweil einer Autopsie unterzogen, bei der bis heute umstritten bleibt, ob sie der Wahrheitsfindung oder aber -vertuschung über die Eigenart der Todesschüsse diente. Noch am Nachmittag dieses Freitags wird Lee Harvey Oswald als mutmaßlicher Täter verhaftet. Während des nachfolgenden Tages bleibt Kennedys Leiche im East Room des Weißen Hauses aufgebahrt, wo ihm Familienmitglieder und Vertraute sowie Vertreter der staatlichen Gewalten die letzte Ehre erweisen. Am Sonntag, den 24. November wird der Sarg in feierlicher Prozession zum Kapitol gebracht und in dessen Rotunde aufgestellt. Tausende nehmen dort bis in die Morgenstunden des nächsten Tages von ihrem Präsidenten Abschied. Während der Überführung vom Polizeihauptquartier ins Bezirksgefängnis von Dallas wird Lee Harvey Oswald, dessen Täterschaft keineswegs feststeht, vom Nachtklubbesitzer Jack Ruby erschossen. Am nächsten Tag, den Johnson zum nationalen Trauertag erklärt, wird Kennedys Sarg wieder zum Weißen Haus und weiter in die St. Matthew’s Cathedral zur Totenmesse gebracht. Zu Fuß folgen nicht nur die Familienmitglieder und die wichtigsten Repräsentanten des Staates, sondern auch eine große Zahl auswärtiger Staatsoberhäupter und Regierungschefs. Nach der Messe bricht eine lange Wagenkolonne zum letzten zeremoniellen Akt auf, dem Staatsbegräbnis auf dem Arlington National Cemetery.
Die Arbeit an der Serie der Jackies nimmt Warhol vermutlich unmittelbar nach den Ereignissen auf, und bereits Anfang Februar 1964, nur gut zwei Monate nach dem Attentat, entstehen die ersten Werke, unter ihnen als eines der frühesten Bilder Jackie (The Week That Was). Bis November desselben Jahres wächst die Serie auf über dreihundert Werke an, von Mehrtafelwerken wie dem hier besprochenen Bild über Triptychen und Diptychen bis hin zu Einzelbildern, von denen einige im Tondoformat gefertigt sind.
Den ersten Schritt in Warhols pictorial design bildet die Entscheidung für bestimmte Vorlagenbilder, welche die Werke der Serie zu einer Mischung aus Historienbild und Porträt werden lassen. Warhol wählt acht Pressebilder, die jeweils auch die Gattin beziehungsweise Witwe des Präsidenten zeigen, schneidet jedoch um deren Kopf herum alles weg, was jeweils nicht nur den größten Teil des Bildes betrifft, sondern zuweilen auch dessen eigentlichen Fokus, beispielsweise Kennedy selbst oder den Nachfolger Johnson. Der Künstler äußerte sich in einem Interview über dieses Verfahren: »In den […] Köpfen, die ich von Jacqueline Kennedy machte […], ging es darum, ihr Gesicht zu zeigen sowie den Ablauf der Zeit vom Augenblick, als die Kugel John Kennedy traf, bis zum Augenblick, als sie ihn bestattete.« Die Ereignisse zeigen sich ausschließlich im Spiegel von Jacquelines Gesicht; das historische Narrativ verwandelt sich in eine Vier-Tage-Biografie. Durch das Herausreißen aus dem situativen Zusammenhang können die Bildreste dem Geschehen nur noch vage zugeordnet werden. Es bleibt nicht viel mehr möglich, als die lachenden Gesichter der Zeit vor dem Attentat und die ernsten, teilweise verschleierten Gesichter der Zeit danach zuzuordnen.
Seine Ausschnitte klebt Warhol ohne Rücksicht auf deren Chronologie in zwei Reihen untereinander, wobei das Ergebnis in Format und Aussehen jenen Fotokabinen-Streifen aus jeweils vier Bildern gleicht, die er kurz zuvor als Vorlagen für seine frühesten Auftragsporträts zu fertigen begann. Dieser Bildblock wird fotomechanisch vergrößert und zu einem Drucksieb von zweihundert mal 160 Zentimetern verarbeitet, was bei den Einzelbildern ein Format von jeweils fünfzig mal vierzig Zentimetern erzeugt. Warhol lässt zudem ein weiteres Sieb fertigen, das die Bilder seitenverkehrt zeigt. In der Umwandlung der fotografischen Vorlagen zum Drucksieb wird die Bildqualität zielstrebig verschlechtert, der Kontrast übersteuert und die Körnigkeit erhöht; die entsprechende Anweisung an das Labor, die Bilder »very Black+White« zu verarbeiten, notiert Warhol auf der Vorlagencollage. Die zu bedruckenden einzelnen Leinwände werden in Gold, Blau oder Weiß grundiert und ebenfalls im Format von fünfzig mal vierzig Zentimetern gerahmt. Die verwendeten Farben verleihen der Serie einen feierlichen, beinahe heraldischen Klang, der sich innerhalb von Warhols OEuvre deutlich abhebt. Vielleicht stellt er einen Reflex auf die damals weit verbreitete Meinung dar, nie seien ein Präsident und seine First Lady dem so nahe gekommen, was in Europa die Königshäuser seien. Beim Druckvorgang, den Warhol nur gemeinsam mit seinem Assistenten Gerard Malanga durchführen konnte, wurde das großformatige Sieb fixiert und bis auf das zu druckende Bild abgedeckt. Die gerahmten Leinwände wurden von unten herangedrückt, während die schwarze Drucktinte durch das Sieb gepresst wurde. Die hierbei zu beobachtende Nachlässigkeit, die Tinte ungleich zu verteilen, das Sieb kaum zu reinigen und schiefe Drucke hinzunehmen, steht in derselben ästhetischen Funktion wie die Entkontextualisierung der Bildschnipsel und deren fototechnische »Verschlechterung«: Die ursprünglichen Motive verlieren dadurch ihren journalistisch- dokumentarischen Wert, statt dessen erhalten die Bilder jene ambivalente Oberflächenerscheinung, wie sie Werke der Hochkunst auszeichnet.
Jackie (The Week That Was) ist nicht nur eines der frühesten Bilder der Serie, sondern das einzige Werk, das alle sechzehn (je acht seitenrichtige und seitenverkehrte) Bildvarianten und zugleich alle drei benutzten Farben aufweist. Indem es das vollständige Bildarsenal vorführt, aus dem sich alle weiteren Werke der Bilderfolge speisen, wird es gewissermaßen zum Referenzwerk der Serie. Dabei entfalten die sechzehn Tafeln ein intrikates Spiel von Identität und Differenz. So werden die Bilder in spiegelsymmetrische Varianten aufgespaltet, die teilweise auf die gleiche, teilweise auf andere Farben gedruckt wurden. Des Weiteren liegt dem Viererblock rechts unten dieselbe Fotografie zugrunde, die jedoch unterschiedlichen Presseveröffentlichungen entnommen wurde. Was wie ein Zoom auf Jacqueline Kennedys Gesicht wirkt, verdankt sich allein dem unterschiedlichen Format der Bildvorlagen, so dass die zwischen Ereignis und Wahrnehmung liegende mediale Zwischenschicht sich hier besonders deutlich manifestiert. Warhols Verfahren lässt aber nicht nur Identisches different erscheinen, sondern umgekehrt identisch werden, was als different zu erwarten wäre. Das betrifft insbesondere das Format der einzelnen Tafeln, das unberührt von dem jeweils Gezeigten stets gleich bleibt.
Das arbiträre Moment in der Gestaltung der einzelnen Tafeln setzt sich in der Anordnung zum Gesamtbild fort. Vor allem missachtet sie, was für die sinnfällige Narration eines Historienbildes entscheidend ist: die chronologische Reihenfolge. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die Anordnung der spiegelbildlichen Bildpaare Viererblöcke entstehen lässt, die jeweils einer Zeitstufe im Geschehensablauf entsprechen. Der Viererblock oben links zeigt die lachende Jackie, aufgenommen bei der Ankunft auf dem Dallas Love Field Airport sowie kurz danach bei der Fahrt durch Downtown Dallas. Die chronologisch anschließenden Tafeln, die Jackie noch am selben Tag bei der Vereidigung Johnsons an Bord der Air Force One zeigen, befinden sich nun aber nicht rechts daneben, sondern diagonal versetzt rechts unten. Damit werden beide möglichen Leseordnungen des Bildes hinfällig, sowohl eine im Uhrzeigersinn als auch eine nach »Textzeilen«. Die zeitlich nachfolgenden Tafeln platzierte Warhol in der rechten oberen Ecke; sie halten in zwei voneinander leicht abweichenden Kameraperspektiven den Augenblick fest, an dem sich die Präsidentenwitwe zum ersten Mal nach dem Attentat öffentlich zeigt, als sie den Portikus des Weißen Hauses betritt, um Kennedys Sarg zum Kapitol zu begleiten. Im Viererblock unten links schließlich sieht man auf der linken Seite die verschleierte Witwe, die den Trauerzug zur St. Matthew’s Cathedral anführt, und rechts, wie sie das Gotteshaus nach der Totenmesse wieder verlässt. Jackie (The Week That Was) weist also folgendes Datums-Schema auf:

22. 22. 24. 24.

22. 22. 24. 24.

25. 25. 22. 22.

25. 25. 22. 22.

Das politisch und historisch höchst bedeutsame Geschehen der Ermordung des amerikanischen Präsidenten verkürzt Warhol folglich nicht nur auf die Wandlungen von Jaqueline Kennedys Gesichtsausdruck, auf ein biographical picture von Fröhlichkeit und Trauer. In einem zweiten Schritt nimmt der Künstler dieser bereits minimierten Geschichte auch noch ihre zeitliche Folgerichtigkeit.

Einleitung
Event and Mediality Kapitel 1: Warhols Umgang mit dem dokumentarischen Material
Event and Mediality Kapitel 2: Mediale Transformationen der Politik
Kapitel 3: Sichtbarkeitsverweigerung
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Warhol Jackie Serie Attentat Kennedy

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Ereignis und Medialität. Andy Warhols „Jackie (The Week That Was)“

in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370.

Einleitung

»Als ich von meiner Operation heruntergebracht wurde, hörte ich irgendwo einen Fernseher laufen und immer wieder die Worte ›Kennedy‹ und ›Mörder‹ und ›erschossen‹. Robert Kennedy war erschossen worden, aber das unheimliche daran war mein Unverständnis, dass es sich um eine zweite Kennedy-Ermordung handelte – ich dachte einfach, sie würden dir die Dinge nach deinem Tod nochmals aufführen, wie eben Präsident Kennedys Ermordung. Einige Krankenschwestern weinten, und nach einer Weile hörte ich Dinge wie ›die Trauergemeinde in St. Patrick‹. Es war alles so seltsam für mich, dieser Hintergrund einer anderen Erschießung und einer Beerdigung – ich konnte sowieso noch nicht zwischen Leben und Tod unterscheiden, und hier war jemand, der im Fernsehen unmittelbar vor mir beerdigt wurde.«
Andy Warhols Erinnerungssequenz erzählt die Verschlingung der Realitäten, die ihm widerfährt, nachdem er am 3. Juni 1968, zwei Tage vor Robert Kennedy, selbst zum Opfer eines Attentats geworden war, das ihn beinahe das Leben gekostet hätte. In der Sequenz klingen entscheidende Aspekte der vier Jahre früher entstandenen Bilderserie der Jackies an, die dem »ersten« Kennedy-Mord gegolten hatte, demjenigen an John F. Kennedy. Der Erinnerungsbericht verdeutlicht das Verschwimmen der realen Ereignisse mit der praktisch synchron erfolgenden medialen Vermittlung, hier in Gestalt eines in Hörweite laufenden Fernsehers. Zugleich manifestiert sich jenes Wiederholungsmoment, das Warhols Ästhetik in so dominanter Weise prägt, auf unterschiedlichen Ebenen: zunächst in der Wirklichkeit als Verkettung zweier tödlicher Kennedy-Attentate und einem beinahe tödlichen Anschlag auf den Künstler selbst, sodann in der medialen Aufbereitung, welche dieselben Namen und Schlüsselwörter beständig wiederholt, und schließlich in Warhols Phantasmagorie, das Vergangene werde einem, nachdem man gestorben sei, noch einmal aufgeführt.
Des Weiteren verdeutlicht Warhols Erinnerung, wie sehr die dramatischen Vorgänge um Präsident Kennedys Ermordung eine ganze Nation traumatisierten. Sie gruben sich in einer Weise ins US-amerikanische Bewusstsein ein, die sie jederzeit reaktivierbar machte. Dass die Tat in entscheidenden Aspekten ungeklärt blieb, verstärkte die Traumatisierung, da auf die Ermordung des Hoffnungsträgers einer ganzen Generation die Unfähigkeit des Staates folgte, eine kohärente und glaubwürdige Aufklärung des Verbrechens zu gewährleisten. Den Vorgängen und ihren Protagonisten bescherte dies ein phantasmatisches Nachleben, das sich in immer neuen Recherchen und Verschwörungstheorien manifestiert. Einen zentralen Platz darin nahmen – und nehmen bis heute – die damals entstandenen Bilder ein. Ihre beständige Wiederholung verweist ebenso sehr auf das Unbewältigte der Ereignisse wie auf die Hoffnung, die Wahrheit habe sich irgendwo in sie eingeschrieben und könne ihnen zuletzt doch noch entrissen werden.
Warhols Bilderserie der Jackies bearbeitet ein Stück Geschichte im Zeitalter der Medien, die auch hier ihr Janusgesicht offenbaren, die Ereignisse einerseits zu übermitteln und andererseits mitzuerzeugen. Zugleich ist Warhols Serie selbst ein Teil dieser Medien- Geschichte, indem sie wesentlich daran mitwirkt, das komplexe Geschehen zu einem wiederkehrenden Set einiger weniger Bilder gerinnen zu lassen. Die Durchdringung von Ereignis und Bild, welche die Gattung des Historienbildes auszeichnet, vollzieht sich in einer spezifischen Weise, die auf die neuartige mediale und psychologische Konstellation antwortet. Sie schafft weniger eine Fiktion des Geschehens, wie es im traditionellen Historienbild geschieht, vielmehr verfremdet sie bestehendes, von dritter Hand stammendes Bildmaterial. Auf diese Weise handelt sie genauso von den Ereignissen wie von deren medialer Spiegelung. Warhol gehört zu jenen nachmodernen Künstlern, welche die Welt nicht aus sich heraus gestalten, sondern ihre Konfrontation mit der Welt zum Thema machen. Entsprechend liegt seine künstlerische Leistung nicht in der Erzeugung neuer, sondern im pictorial design vorhandener Bilder. Im Verfremdungsprozess zeigt sich seine »Handschrift«, deren Eigenart hervortritt, wenn wir die Ereignisse jener vier Tage im November 1963 rekapitulieren und anschließend Warhols Umsetzung Schritt für Schritt nachverfolgen.

Event and Mediality Einleitung
Event and Mediality Kapitel 1: Warhols Umgang mit dem dokumentarischen Material
Kapitel 2: Mediale Transformationen der Politik
Kapitel 3: Sichtbarkeitsverweigerung
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Ereignis und Medialität (PDF mit Abb. u. Fn.)

Kennedy assassination Warhol invisibility death

Event and Mediality (PDF with illus. and fn.)

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Event and Mediality. Andy Warhol’s „Jackie (The Week That Was)“

published in German in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370. Translation: Daniel Hendrickson

Chapter 3: The Refusal of Visibility

Jackie (The Week That Was) reflects this combination of politics, media, and history. “I’d been thrilled,” writes Warhol in his memoirs, “having Kennedy as president; he was handsome, young, smart–but it didn’t bother me that he was dead. What bothered me was the way the television and radio were programming everybody to feel so sad.” Warhol’s biographer Victor Bockris reported how fascinated he was by the repeated broadcasts of Zapruder’s Super 8 film, especially by the slow-motion playback of the shooting passages. From this perspective the title of the silkscreens also now becomes relevant. Whether Warhol found it himself has to remain open; but a label on the back side of the silkscreen attests to it coming from the year 1964. It alludes to a weekly BBC television production that in 1962/63 satirically commented on political events and their protagonists under the title That Was The Week That Was. The program was bought in the United States shortly before its end in Britain. The pilot show aired on NBC on November 10, 1963, the first regular broadcast followed in January 1964. On Saturday, November 23, BBC changed the weekly magazine into a (non-satirical) tribute to John F. Kennedy; this was also acquired by NBC and was already being shown in the USA on Sunday evening. “Jackie. The Week That Was,” as the title of the silkscreen suggests, may indeed be a relation of events, but it is also always already a media product.
The individual steps in Warhol’s pictorial design prove to be equally significant. The focus on Jacqueline Kennedy’s facial expression, leaving out all other photographic information, reflects the personalization and emotionalization of the event, the blurring of the boundaries between politics and Hollywood, through which the Jackies find themselves somewhere between the star portraits of Marilyn or Liz on the one hand and the Death and Disaster series of the Car Crashes, Race Riots, or Suicides on the other. The presentation of the various visual motifs in the identical format of 50 x 40 cm is in turn parallel to the transformation of the real events in the television image, whose screen has in common with Warhol’s panels that it shows the excess of the visible in a never changing grid format.

But above all, what is significant is the arrangement of the sixteen panels into a whole image. For although chronological order is disregarded, it in no way proves to be without structure. As already described, every motif appears doubled as correct and reverse. The order of these pairs of panels is formed as follows:
(for figure see PDF-version of this text)
This can also be expressed as a progression of numbers: One motif is printed twice in mirror images; two such pairs of images are joined into a block of four; finally the sixteen part entire image is formed from four such blocks. This ‘n x 2’ progression is brought into a cyclical form through the arrangement illustrated in the diagram, which has neither a definable starting point nor a singular direction. So in Jackie (The Week That Was) content and form, what is shown and its structuring, appear to be in competition with one another. At on pole stands the photographic reference to the events in Dallas and Washington in November 1963, at the other pole is an abstract, purely immanent visual arrangement, which recalls the non-relationality of minimal art, for instance Donald Judd’s rows of identical boxes or the progressions of stripes in Frank Stella’s Black Paintings, both of which come from the same period as Warhol’s early silkscreens. Coherently structured on its own terms, the visual form at the same time has a quite indifferent relation to the sequence of historical events. Laughing Jackie, mourning Jackie, Laughing Jackie, ad infinitum: the history that Warhol narrates is the transformation of an event into a circular visual staccato, in which content does not determine form, but the cyclical grid structure practically pushes the contents forth. Television is, according to Warhol, “just a lot of pictures, cowboys, cops, cigarettes, kids, war, all cutting in and out of each other without stopping. Like the pictures we make.”
Nevertheless, Jackie (The Week That Was) is far from a simple media critique, whose point would be to declare the disappearance of the real behind the shield of the media. A force is at work in the image that does not get worn away through the repetitions, but is constantly renewed. This force takes its power less from the visible than from the non-visible: from the flaws and gaps in the representational structure that activate the viewer’s power of imagination and still cannot be filled. Two aspects here seem particularly relevant. For Warhol, Jacqueline Kennedy became a star in part due to the events surrounding the assassination of her husband, that is, she became one of those mythical figures of the media age into which we can project our inner selves without recognizing anything more in them than their public image. In Warhol’s alienating, dissecting, increasing the contrast, minimizing the photographic information for the sake of the concision of a handful of strokes, Jackie becomes a figure without a base, an “apparition of a distance, however near it may be.” Since Jackie was furthermore always already an image and her life during these four days was always already live, being and media appearance become blurred, with the result that the being of what is shown becomes renewed in full validity in every repetition of the media image. The im¬ages open up a depth for the imagination that they negate at the same time.
The second aspect of the refusal of visibility concerns the peculiarly indirect representation of death. By merely showing Jacqueline’s face, Warhol omits the actual event that gives meaning to the change from laughing to mourning faces in the first place: Kennedy’s assassination. The circular visual structure and the almost cinematic montage force us to a constant re-enactment of the events. In the continuing jumping back and forth between before and after, however, the fatal moment is always lacking, since it is always either still to come or already past. One “repeats instead of remembering,“ writes Sigmund Freud, alluding to the fact that repetition masks what cannot be remembered. What is omitted, however, can return surprisingly in what is repeated. So Kennedy, the actual gravitational center of the story that the images are telling, is granted a single, utterly ghostly appearance. In the space between two panels of the laughing wife, his laughing face also appears, split in the middle and then completed again through the mirror image doubling, albeit in a grotesquely distorted form. This is one of those “incidents on the surface” that Warhol consciously provoked, but whose forms are still randomly produced. What calls forth the surface-incident here is the core of Warhol’s procedure itself: the repetition of images.

Introduction
Chapter 1: Warhol’s Use of the Documentary Material
Chapter 2: The Media Transformation of Politics
Event and Mediality Chapter 3: The Refusal of Visibility
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Event and Mediality (PDF with illus. and fn.)

Kennedy assassination television transformation politics

Event and Mediality (PDF with illus. and fn.)

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Event and Mediality. Andy Warhol’s „Jackie (The Week That Was)“

published in German in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370. Translation: Daniel Hendrickson

Chapter 2: The Media Transformation of Politics

The crisis triggered by the assassination was handled masterfully, at least by tele¬vision. Shortly after Kennedy’s death the three national broadcasting channels ABC, CBS, and NBC decided to interrupt all running and planned programming and to switch to direct broadcasting until the funeral on Monday. This gave rise to what is still the longest and most elaborate live broadcast in television history. “I don’t know of anything before or after that reached that peak. . . . I was responsible for the television coverage and still coverage of the entire funeral. It was a difficult task but everybody cooperated; we had cameras from everywhere, we had cable from everywhere, and the coverage and cooperation of television was, I think, just absolutely stupendous,” is how J. Leonard Reinsch, Kennedy’s media advisor, described the task at hand. The events of this weekend were transformed in the moment of their happening into a media event, the historical break of Kennedy’s assassination became the high point of television history. It even includes a sensational live moment: While ABC and CBS were showing the dreary procession in front of the coffin on Sunday, NBC switched to Lee Harvey Oswald’s transfer into the district prison. So the spectators of this broadcast could watch his shooting in the parking garage of the Dallas police headquarters at the moment it happened.
Television did not only document the events, but at the same time took on a previously unknown role in the political and emotional life of the nation. J. Leonard Reinsch calls this the manufacturing of a “a community of interest”: “Everyone–whether they happened to be in Atlanta, Georgia, or New York City, or Keokuk, Iowa–felt as one. They joined in their grief for the slain leader and they felt they were participating in this tragic ceremony. . . . Television took them there. The sight of this riderless horse going down Pennsylvania Avenue [Kennedy’s favorite horse Black Jack, which followed the coffin to the Capitol] was bound to tug your heart, and little John-John saluting [Kennedy’s three-year-old son at the hearse’s departure for the cemetery] was just world-wide heart-appeal.”
The continual flow of images actually played down the shock of the sudden political vacuum. On the one hand, the immediate and uncontested transference of power to the vice president was made visible to everyone, on the other, Jacqueline Kennedy was pushed into the limelight of media attention: as the guarantor of continuity as well as the figure of emotional identification, in whose mourning and courage the feelings of the nation could be reflected. If nothing new was happening on the sad stage of Washington, which was often the case in these four days, the past scenes of the weekend were shown over. The incessant repetition of images and reports became, as witnesses testify, an essential component of the memory of this time. Even through this redundancy, television helped to deal with the inconceivable.
The print media also contributed to the media coverage, as it is so fittingly called in English, above all what was then the most widely circulated magazine in the world, Life, with its nearly ten million copies. The issues from November 29 and December 6 included extensive visual material of the assassination and the memorial events, from which Warhol culled five of his eight images. But the next issue on December 13 already marked the completed transition. The cover image shows Johnson in the Oval Office behind the presidential desk, the main article carries the title “Johnson on the Job.” How far the tacit alliance between the mass media and the government’s efforts to secure peace and security in the country went–which included officially presenting Lee Harvey Oswald as the single perpetrator while not supporting any conspiratorial setting–can be clearly seen in Life magazine’s coup in securing, on the day after the attack and for a large sum of money, the Super 8 film that the clothing manufacturer Abraham Zapruder had made in close vicinity to the scene of the crime and which to this day represents the main document of the course of the assassination. While the FBI confiscated the copies, Life purchased the original film and reprinted some individual images from it in its November 29 and December 6 issues, albeit without frame numbers, which would have attested to the order of events, and leaving out certain frames that would have been able to undermine the thesis of Oswald having acted alone. – “Everything begins with reproduction. Always already: repositories of a meaning which was never present, whose signified presence is always reconstituted by deferral, nachträglich, belatedly, supplementarily.” This formulation by Jacques Derrida is perhaps the most succinct description of the relation between event and mediality as they were presented in those days.
As far as concerns the media’s involvement, Kennedy’s presidency came to a worthy end. He was the first president to recognize the significance and possibili¬ties of the new medium of television and to target it specifically. Particularly during the 1960 campaign he was very clever in his use of the media. The fact that the first of the newly instigated television debates between the two leading candidates went in Kennedy’s favor and indeed decided the election, is above all due to his extraordinary telegenic quality, which his opponent Nixon lacked. Thanks to information leaked from the television company CBS, this advantage could be expanded. He found out that the studio walls that they would be standing in front of during the debate were painted white and that their appearance would be lit with strong spotlights. So he appeared in a dark suit and freshly tanned from a campaign tour in California. While he presented the spectators with a ‘distinguished’ shape, Nixon got lost in the background in his light jacket. The glaring and hot spotlights made him, who had just been released from a hospital visit, appear waxen and unshaven, the drops of sweat appearing on his forehead gave the impression of a lack of steadfastness. The political commentators may have found that he had the better arguments, but they were undermined by this optically clear situation. A survey after the debate conducted with those who had heard it on radio showed Nixon as victor, while the estimated 74 million television spectators spoke out clearly for Kennedy. Kennedy, who was previously less well-known nationally, gained the edge over his opponent for the first time, which he would then never lose again. In light of the fact that Kennedy was elected with a majority of about 100,000 votes (34,221,463 against 34,108,582), the significance of the television debate becomes clear. Events of this kind mark the all-encompassing changes in political culture through television, which have not only brought about a medialization of politics, but above all a personalization and emotionalization.

Introduction
Chapter 1: Warhol’s Use of the Documentary Material
Event and Mediality Chapter 2: The Media Transformation of Politics
Event and Mediality Chapter 3: The Refusal of Visibility
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Event and Mediality (PDF with illus. and fn.)

Kennedy Dallas assassination Warhol media

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Event and Mediality. Andy Warhol’s „Jackie (The Week That Was)“

published in German in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370. Translation: Daniel Hendrickson

Chapter 1: Warhol’s Use of the Documentary Material

On Friday, November 22, 1963, President John F. Kennedy, who was campaigning through Texas, was shot to death during a midday parade through Dallas in an open car. The events follow here blow by blow. Only three hours after the attack, Vice President Lyndon B. Johnson is already being sworn in on board the presidential jet in the presence of the widow Jacqueline Kennedy. Afterwards, the new president flies immediately to Washington to commit himself to Kennedy’s cabinet and to announce the continuation of his political program. Kennedy’s corpse, which was also in the presidential jet, undergoes an autopsy, and it remains controversial to this day whether this served to disclose or to cover up the truth about the particularities of the gunshots. On the very afternoon of this Friday, Lee Harvey Oswald is arrested as the probable suspect. During the next day, Kennedy’s corpse remains laid out in the East Room of the White House, where family members and loved ones as well as state officials pay their last respects. On Sunday, November 24, the coffin is brought to the Capitol in an official procession and put on display in the rotunda. Until early the next morning, thousands come to bid farewell to their president. During his transfer from police headquarters into the regional prison of Dallas, Lee Harvey Oswald, who has in no way confessed to the crime, is shot by nightclub owner Jack Ruby. On Monday, which Johnson has declared a national day of mourning, Kennedy’s coffin is returned to the White House and then brought to St. Matthew’s Cathedral for the funeral mass. The coffin is followed on foot not only by the family members and the most important state officials, but also by a large number of foreign heads of state and government. After the mass a long convoy of cars sets off for the final ceremonial act, the state burial in Arlington National Cemetery.
Warhol most likely began work on the Jackie series immediately after these events, and at the beginning of February 1964, only two months after the attack, the first works had already appeared, including one of the earliest, Jackie (The Week That Was). By November of the same year, the series had grown to over 300 works, from other multi-panel works to triptychs and diptychs and indi¬vidual images, some of which are manufactured in tondo format.

The first step in Warhol’s pictorial design is formed by the decision over certain source images, which in the Jackies creates a mixture of the history painting and the portrait. Warhol chose eight press photos, each of which shows the wife, or rather, the widow of the president, while getting rid of everything around her head, which not only means a large part of the image, but sometimes even the focal point of the original photo, for instance Kennedy himself or his successor Johnson: “In the . . . heads I did of Jacqueline Kennedy in the death series, it was just to show her face and the passage of time from the time the bullet struck John Kennedy to the time she buried him.” The events are seen exclusively through the mirror of Jacqueline’s face; the historical narrative changes into a four-day biography. By tearing them out of the situational context, what remains of the images of the events can only be vaguely ordered. All that remains possible is to organize them into the laughing faces of the pre-assassination period and the serious, sometimes veiled faces of the time afterwards.
Warhol pasted the clippings without regard to chronology in two vertical rows, the result being similar in format and appearance to photo booth strips of four images, which he had begun to produce only shortly before as a basis for his earliest commissioned portraits. The block of images was photomechanically enlarged and processed on a silk screen of 200 x 160 cm, which produced individual images in a format of 50 x 40 cm each. Warhol further had another screen produced that shows the images reversed. In the transfer of the original photos to silkscreen, the image quality is purposefully corrupted, the contrast is pushed and the graininess brought out; the corresponding instruction to the laboratory to process the images “very Black + White” is noted by Warhol on the original collage of images. The individual canvases to be printed were primed in gold, blue, or white and also framed in the 50 x 40 cm format. The colors used give the series a celebratory, almost heralding tone, which stands out in Warhol’s oeuvre. Perhaps this was a reflex to the then widely held opinion that there had never been a president and first lady who came so close to being royalty in the European sense. During the printing process, which Warhol could only accomplish together with his assistant Gerard Malanga, the large-format screen is fixed and masked except for the image to be printed. Malanga pressed the framed canvases on from below, while Warhol pushed the black printing ink through the screen. The noticeable carelessness about spreading the ink out evenly, barely cleaning the screen, and accepting crooked prints shares the same aesthetic function as the decontextualization of the clippings and their phototechnical ‘corruption.’ The original images lose their journalistic-documentary value and instead gain that ambivalent surface that marks the works as high art.
Jackie (The Week That Was) is not only one of the earliest images in the series, but also the only work that features all sixteen images (eight original and eight reversed) and at the same time all three colors used. By exhibiting the entirety of the pictorial arsenal, which supplies all the further works in the series, it becomes a kind of reference work for the whole series. The sixteen panels therefore open up an intricate play of identity and difference. So the images are split into mirror-image variations, which are in part printed with the same, and in part with different colors. Furthermore, the same photograph is found in the lower right block, but taken from two differen press publications. What seems like a zoom onto Jacqueline Kennedy’s face is due to the varied formats of the source images alone, so that the media layer lying intermediate between event and perception manifests itself here especially clearly. Warhol’s process does not only allow the identical to appear as different, but inversely presents as identical what would be expected to be different. This pertains especially to the format of the individual panels, which always remain equally unaffected by what they show.
The arbitrary moment in the forming of the individual panels continues in the arrangement of the whole image. Above all it disregards what is significant for any meaningful narration of a historical image: chronological order. Looking more closely we see that the arrangement of the mirrored pairs of images generates blocks of four images that each correspond to a period of time in the course of the events. The upper left of the block shows the laughing Jackie, taken at the arrival at Dallas Love Field Airport as well as shortly afterward during the drive through downtown Dallas. The chronologically subsequent panels, showing Jackie on the very same day at Johnson’s swearing in aboard Air Force One, are not found next to it on the right, but diagonally displaced in the lower right. This invalidates both possible ways of reading the image, both clockwise and one that treats the images as ‘lines of text.’ Warhol placed the panels that would follow chronologically in the upper right corner; they capture from two slightly diverging camera perspectives the moment in which the presidential widow was first publicly seen after the attack, when she left the portico of the White House to accompany Kennedy’s coffin to the Capitol building. Finally, in the lower left block, we see the veiled widow on the left side, leading the funeral procession to St. Matthew’s Cathedral, and on the right, her leaving the church after the funeral mass. Jackie (The Week That Was) therefore features the following schema of dates:

22. 22. 24. 24.

22. 22. 24. 24.

25. 25. 22. 22.

25. 25. 22. 22.

Warhol abbreviates the event of the assassination, highly meaningful both politically and historically, not only according to the transformations of Jacqueline Kennedy’s facial expressions, into a mini biopic of happiness and mourning. In a second step he also takes the temporal relations away from these already minimized faces.

Introduction
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Warhol Jackie series assassination Kennedy

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Event and Mediality. Andy Warhol’s „Jackie (The Week That Was)“

published in German in: Bilder machen Geschichte. Historische Ereignisse im Gedächtnis der Kunst, hrsg. von Uwe Fleckner (Studien aus dem Warburg-Haus 13), Berlin 2014, S. 357-370. Translation: Daniel Hendrickson

Introduction

„As I was coming down from my operation, I heard a television going somewhere and the words ‘Kennedy’ and ‘assassin’ and ‘shot’ over and over again. Robert Kennedy had been shot, but what was so weird was that I had no understanding that this was a second Kennedy assassination–I just thought that maybe after you die, they rerun things for you, like President Kennedy’s assassination. Some of the nurses were crying, and after a while, I heard things like ‘the mourners in St. Pat¬rick’s.’ It was all so strange to me, this background of another shooting and a funeral–I couldn’t distinguish between life and death yet, anyway, and here was a person being buried on the television right in front of me.“
Warhol’s sequence of memories concerns the intertwining of realities that happened to him after he himself became the victim of an assassination attempt on June 3, 1968, two days before Robert Kennedy. In this sequence there are hints about certain significant aspects of the silkscreen series Jackies, made four years earlier, following the ‘first’ Kennedy assassination, that of John F. Kennedy. The memory makes it clear how real events blurred with their practically synchronous media representation, here in the form of a television running somewhere within hearing range. At the same time, a formative repeating moment for Warhol’s aesthetics is manifest on the most diverse levels: first in the real, as the link between the two deadly Kennedy assassinations and a nearly fatal one for Warhol; then in the media reworking, which constantly repeats the same names and keywords; and finally in Warhol’s imagination, as a supposed reproduction of the past after his own demise.
Furthermore, Warhol’s memory also makes it clear how much the dramatic events around President Kennedy’s assassination traumatized a whole nation. They became somehow entrenched in the American consciousness, making it possible to reactivate them at any time. The fact that the events remain unexplained in several important aspects heightens the trauma, since the assassination of the person on whom the hopes of a whole generation were pinned was followed by the state’s inability to produce a coherent and believable explanation of the crime. This has bestowed a phantasmatic afterlife on the events and their protagonists, which has manifested itself in ever new research and conspiracy theories. The images produced at the time have played (and still do play) a central role in this. Their constant repetition refers both to the unresolved questions around the events and to the hope that the truth is inscribed somewhere within them and could still be wrested from them.
Warhol’s Jackies rework a piece of history in the age of media, which also here display their Janus face, communicating the events on the one hand and contributing to their production on the other. At the same time, Warhol’s images themselves are part of this media history, to which the Jackies make a fundamental contribution by congealing the complex events into a recurring set of a handful of images. The interpenetration of event and image, which characterizes the genre of history painting, is accomplished here in a specific way that is responsive to new media and psychological constellations. They do not so much produce a fiction of the events, such as in the traditional history painting, rather, they alienate existing third-hand visual material. In this way they deal with the events as much as they do with their media reflection. Warhol is one of the postmodern artists who form the world not from out of itself, but who make the confrontation with the world into the topic of their work. As such, his artistic achievement lies not in the creation of new images, but in the pictorial design of existing images. His “signature”–in quotation marks–can be seen in the alienation process. Its particularity will come forth if we recap those four days in November 1963 and then track Warhol’s reconfiguration of them step by step.

Event and Mediality Introduction
Event and Mediality Chapter 1: Warhol’s Use of the Documentary Material
Chapter 2: The Media Transformation of Politics
Chapter 3: The Refusal of Visibility
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Ästhetische Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge

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Zur ästhetischen Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge

in: The challenge of the object: 33rd congress of the International Committee of the History of Art/Die Herausforderung des Objekts: 33. Internationaler Kunsthistoriker-Kongress, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 15.-20. Juli 2012, hrsg. von Georg Ulrich Großmann und Petra Krutisch, Nürnberg 2013, S. 1249-1252.
Inhalt:

Einleitung

Kapitel 1: Der ältere Topos ästhetischer Lebendigkeit

Kapitel 2: Prolegomena zu einer modernen Fassung ästhetischer Lebendigkeit

Ästhetische Lebendigkeit Barnett Newman Erfahrung Oszillation Aspektwechsel

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Zur ästhetischen Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge

in: The challenge of the object: 33rd congress of the International Committee of the History of Art/Die Herausforderung des Objekts: 33. Internationaler Kunsthistoriker-Kongress, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 15.-20. Juli 2012, hrsg. von Georg Ulrich Großmann und Petra Krutisch, Nürnberg 2013

Kapitel 2: Prolegomena zu einer modernen Fassung ästhetischer Lebendigkeit

Barnett Newman begriff seine Gemälde ausdrücklich nicht als Mimesis: „These paintings“, so formuliert er es in dem Statement, das seine erste Einzelausstellung 1950 begleitete, „are not ‚abstractions‘, nor do they depict some ‚pure‘ idea. They are specific and separate embodiments of feeling, to be experienced, each picture for itself.“

Wie als eine Erinnerung an den älteren Topos ästhetischer Lebendigkeit taucht auch hier der Begriff der ‚Verkörperung‘ (‚embodiment‘) auf. Doch er bezieht sich diesmal nicht auf etwas, das im Gemälde dargestellt wäre, sondern auf Gefühle, von denen der Betrachter erfasst werden soll. Folglich ist auch in Newmans Statement von Verlebendigung die Rede, und zwar sowohl von derjenigen des Bildobjekts qua Verkörperung eines Gefühls als auch von derjenigen des Betrachters, wenn sich dieses Gefühl qua Bilderfahrung auf ihn überträgt.

Newmans Bildtitel, beispielsweise „Genesis – The Break“, „Day One“ oder „Be (The Resurrection)“, zeigen, dass seine Malerei prominent um die Themen des Anfänglichen, des Aufbrechens oder des Umschlags ins Sein kreiste. Allerdings war er solange mit den Ergebnissen unzufrieden, als er versuchte, diese Themen im weitesten Sinne mimetisch darzustellen. Nach seinem eigenen Verständnis gelang ihm mit „Onement, I“ von 1948 der entscheidende Durchbruch, der darin bestand, solche Themen nicht mehr darzustellen, sondern sie dem Betrachter als Erfahrung zugänglich zu machen. Im Sinne eines Abgebildeten enthält „Onement, I“ nichts und ist doch nicht leer. Denn auf ihm ist etwas: ein Abklebband, und auf diesem Abklebband wiederum ein orangeroter, ausfransender Farbstreifen; beide ziehen sich über die gesamte Vertikale des Bildes, das Band sogar um die obere und untere Bildkante herum. Der Effekt dieses Verfahrens besteht darin, dass die Spaltung in zwei vertikale Hälften – als jenes Ereignis, das einen Anfang setzt – nicht im Bild liegt, sondern sich als eine Spaltung des Bildes zeigt. Was das Bild bedeutet, ist das, was mit ihm geschieht.

In den Arbeiten, die diesem initialen Bild folgten, verzichtete Newman auf derlei Applikationen und realisierte jenes ‚embodiment of feeling‘ alleine im Medium flach aufgetragener, häufig weitestgehend untexturierter Farbe. Die Bildformate wachsen erheblich an und werden mitunter wandgleich, sollen aber dennoch, so Newmans Intention, aus intimer Nähe betrachtet werden. Was sich dem Betrachter aus solcher Nahdistanz darbietet, beispielsweise bei dem riesigen Bild „Vir Heroicus Sublimis“ von 1950/51, ist eine Abfolge vertikal präzise begrenzter Farbzonen, deren ästhetische Pointe in ihrer Polyvalenz liegt. Die Detail-Aufnahme – die etwa einen Zehntel der beinahe fünfeinhalb Meter breiten Leinwand wiedergibt – zeigt etwas, das sich auf mindestens drei Weisen auffassen lässt: a) als ein gespaltenes Rot, hinter dem aufgrund der Spaltung ein Braun sichtbar wird, b) als ein durchlaufendes Rot, vor dem sich ein brauner Streifen befindet, und c) als eine strikt laterale Abfolge aneinandergrenzender Streifen von Rot, Braun und Rot.

Die ästhetische Verlebendigung liegt hier folglich darin, eine objektiv und subjektiv nicht stillzustellende Oszillation zwischen der Fläche des Bildes und einem Raum entstehen zu lassen, den man in seiner eigentümlichen Dimensionslosigkeit mit Greenberg als einen „totalen“ bezeichnen könnte. Auf einer noch grundsätzlicheren Ebene liegt die Verlebendigung darin, dass die bloße Abfolge von Farbflächen überhaupt als ein Bild erfahrbar wird, das heißt als etwas, das über seine Faktizität hinaus etwas zeigt. Das Anfängliche, als Newmans Kardinalthema, ist hier die Genese als Bild.

Die ästhetische Lebendigkeit dieses Typs basiert folglich auf der Erfahrung, dass das gesehene Objekt sich immer wieder unter anderen Aspekten zeigt, bald als materiell, bald als immateriell, bald als Fläche, bald hingegen als dimensionslose Tiefe, sowie auf einer konkreteren Ebene als immer wieder abweichend gedeutetes räumliches Dispositiv unterschiedlicher Farbstreifen. Diese Erfahrung wechselnder Aspekte, unter denen wir den Gegenstand auffassen, wird dadurch dramatisiert, dass die einzelnen Aspekte miteinander unverträglich sind, so wie es für Fläche versus Tiefe, materiell versus immateriell oder davor versus dahinter gilt. Die Erfahrung des Aspektwechsels ist überdies insofern paradox, als sie mit der Einsicht einhergeht, dass sich am Objekt jeweils materiell nichts ändert.

Erläutert man ästhetische Lebendigkeit mit einer solchen Aspektwechsel-Dynamik, verortet man sie weder allein im ‚beseelten‘ Kunstwerk wie in der älteren Kunsttheorie noch allein im Subjekt, das durch die Betrachtung des Schönen ‚belebt‘ wird, so wie es die Kantische Ästhetik auffasst und wie es Winckelmann anhand der Erfahrung des „Apolls von Belvedere“ beschreibt. Der Begriff des Aspektwechsels meint ebenso ein neues Sehen auf der Seite des Subjekts als auch ein anderes Erscheinen des Objekts. Die Dynamik, die wir erfahren, erfasst Subjekt und Objekt der Wahrnehmung gleichermaßen, und ohne dass sich eine klare Ursache-Wirkung-Relation bestimmen ließe. Sie verdankt sich ebenso sehr dem Vermögen des Wahrnehmenden – seiner ästhetischen Sensibilität, aber auch seiner Geläufigkeit im Umgang mit Kunst – wie den je besonderen Gegebenheiten des Kunstwerks, hier etwa den formalen und maltechnischen Eigenarten von Newmans Gemälden.

Als paradoxes Zugleich von neuer und unveränderter Wahrnehmung bleibt die ‚Belebung‘ des Kunstwerks immanent: Sie transzendiert weder das Objekt noch die konkrete Wahrnehmungssituation. Diese Neubestimmung ästhetischer Lebendigkeit lässt sich folglich mit dem augenfälligen Hang der modernen Kunst zu Faktizismus und Dinglichkeit zusammenzudenken, die auch Newmans Malerei aufweist. Während der ältere Lebendigkeitstopos seine Pointe darin hat, die Darstellung nicht das sein zu lassen, was sie eigentlich ist, nämlich ein flaches Bild oder ein kalter Stein, sondern vielmehr die Differenz von dargestelltem Gegenstand und darstellendem Medium imaginär zu tilgen, kehrt die moderne Kunst ihre Materialität und Medialität so deutlich hervor, dass nicht allein die Tilgung der Differenz unmöglich wird, sondern vor allem offensichtlich wird, dass eine so geartete Selbsttransfiguration des Kunstwerks gar nicht beabsichtigt ist. War das klassische Kunstwerk sozusagen Fleisch vom Fleisch des Lebendigen und zugleich nicht wie Fleisch vom Fleisch des Lebendigen, ist das moderne Kunstwerk ein Ding unter Dingen und zugleich nicht wie ein Ding unter Dingen. Wenn wir an solchen Ding-Werken der Moderne die Erfahrung einer Lebendigkeit des Gegenstands machen, sehen wir nicht im Kunstwerk über das Kunstwerk hinaus, sondern dieses erscheint uns in je unterschiedlicher, auch kontradiktorischer Weise, ohne dass dies seine Faktizität und Dinglichkeit transzendierte. Die ästhetische Lebendigkeit moderner Kunstobjekte, sofern man sie nach der hier skizzierten Aspektwechsel-Logik auffasst, aktualisiert den alten Topos ästhetischer Lebendigkeit im Zeichen der Immanenz: Wir sehen im Kunstwerk nichts anderes als es selbst, sondern sehen stets dasselbe, aber je anders.

Einleitung
Kapitel 1: Der ältere Topos ästhetischer Lebendigkeit
Ästhetische Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge Kapitel 2: Prolegomena zu einer modernen Fassung ästhetischer Lebendigkeit
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Ästhetische Lebendigkeit Mimesis Fiktion Winckelmann Hegel

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Zur ästhetischen Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge

in: The challenge of the object: 33rd congress of the International Committee of the History of Art/Die Herausforderung des Objekts: 33. Internationaler Kunsthistoriker-Kongress, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 15.-20. Juli 2012, hrsg. von Georg Ulrich Großmann und Petra Krutisch, Nürnberg 2013, S. 1249-1252.

Kapitel 1: Der ältere Topos ästhetischer Lebendigkeit

Wenden wir uns zunächst kontrastiv dem älteren Topos ästhetischer Lebendigkeit zu. Dieser basiert auf anthropomorph bestimmter Mimesis: Um belebt zu erscheinen, musste das Kunstwerk die Lebendigkeit des Dargestellten durch seine darstellerischen Mittel anschaulich vergegenwärtigen können. Das geschah durch einen Lebendigkeits-Transfer zwischen den dargestellten Körpern und dem Körper des Kunstwerks. Etwas vom Leben des Dargestellten sollte auf die tote Materie des Bildes oder der Skulptur überspringen – ein künstlerisch anspruchsvolles, die Beherrschung des Metiers voraussetzendes Unterfangen, das zugleich die Grenze zu dämonischen oder alchemistischen Praktiken berühren konnte. Die ästhetische Lebendigkeit älteren Typs war ein Effekt, der darauf basierte, dass die drei Begriffe des Lebens, des Körpers und des Organismus – letzterer verstanden als Ganzheit, als stimmiges Zusammenspiel der Glieder und als Kraft – sich sowohl auf das Dargestellte als auch auf die Darstellung beziehen ließen und das eine für das andere analogisch einstand.

Die ‚belebenden‘ künstlerischen Verfahren umspielten dabei die ästhetische Grenze des Kunstwerks als der Schwelle zwischen Faktum und Fiktion. Die Korrespondenz zwischen der ästhetischen Verlebendigung und der Destabilisierung der ästhetischen Grenze zeigte sich insbesondere in jenen transgressiven Augenblicken, von denen viele Kunst- und Künstlerlegenden der älteren Kunstliteratur handeln: Das Dargestellte erschien mit einem Male nicht nur ästhetisch lebendig – beispielsweise aufgrund des lebensecht gemalten Inkarnats oder der belebenden Lichtführung – sondern realiter, die Skulptur schlug die Augen auf, der Dargestellte trat aus dem Rahmen des Bildes. In diesem Augenblick der Transgression des Ästhetischen ins Reale wurde die raumzeitliche Grenze zwischen dargestelltem Körper und Bildkörper aufgehoben – ein Zusammenbruch ontologischer Ordnung, der zumindest in den Legenden gravierende Konsequenzen für den frevelnden Künstler und/oder für die Betrachter haben konnte.

Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in Winckelmanns Beschreibung des „Apoll von Belvedere“, in dem dieser das „höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums“ erkennt, wird ästhetische Lebendigkeit als jener Lebendigkeits-Transfer über die ontologische Grenze des Kunstwerks hinweg aufgefasst, ja, die Einzigartigkeit dieser Skulptur scheint sich gerade in der Intensität dieses Transfers zu begründen. Winckelmanns „Apoll“-Ekphrasis versammelt die unterschiedlichen Facetten, die innerhalb des Topos ästhetischer Lebendigkeit unterschieden werden können, in verdichteter Weise, weswegen ich sie hier als beispielhaftes, eine Epoche zusammenfassendes Zeugnis heranziehe. Ihr zufolge wird die Skulptur in einer Weise von „himmlischem Geist“ „erhitzt“, dass die Brust des Betrachters sich ebenso erweitert und erhebt wie jene der Skulptur: „Mit Verehrung scheint sich meine Brust zu erweitern und zu erheben wie diejenige, die ich wie vom Geiste der Weissagung aufgeschwellt sehe, und ich fühle mich weggerückt nach Delos und in die lycischen Haine, Orte, welche Apollo mit seiner Gegenwart beehrte: denn mein Bild scheint Leben und Bewegung zu bekommen, wie des Pygmalion Schönheit.“

Der „Apoll von Belvedere“ wird beschrieben, als hätte Winckelmann keine Skulptur, sondern Apollo selbst vor Augen – „[s]ein weiches Haar spielt, wie die zarten und flüssigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt“ –, und er beschreibt sich selbst, als würde er selbst an jene Orte entrückt, wo Apollo weilte. Wie aber, so führt Winckelmann den Gedanken noch einen Schritt weiter, der sich auf seine eigene Schriftpraxis zurückbezieht, soll diese Transformationserfahrung, sowohl des Kunstwerks als auch des eigenen Selbst, überhaupt in die Worte einer Ekphrasis gefasst werden können? Hier müsste erneut, so Winckelmann, die Kunst zu Hilfe kommen und die Hand leiten, um die „ersten Züge“, die er hier entworfen habe, „auszuführen“ – das heißt um nun auch das Geschriebene lebendig und den Leser belebend zu machen.

Auch Hegels Repräsentationsmodell der Kunst, das er in seiner Ästhetik entfaltet, gründet in dieser anthropomorphen, im Begriff des Körpers zentrierten Lebendigkeitsauffassung des Kunstwerks. Die Vermittlung des Allgemeinen im Individuellen gelingt dem Kunstwerk Hegel zufolge dadurch, dass es sein angemessenes und ideales Thema in jenen Körpern findet, in denen diese Vermittlung von Allgemeinem und Individuellem bereits vollzogen ist: im griechischen Heros, in der Gestalt Christi und im weltlichen Souverän. Im Mittelpunkt der Kunst, buchstäblich und metaphorisch, steht der ‚Bildheld‘, um den herum sich das Bild in einer spannungsvollen Hierarchie von Zentrum und Peripherie, hell und dunkel, vorne und hinten, bunt und unbunt, malerischer Präzision und skizzenhafter Andeutung organisiert. Diese lebendige Ordnung des Bildes repräsentiert die lebendige Ordnung der Natur und der Gesetze. Mit dem Abtreten dieser physisch-metaphysischen Körper und der von ihnen repräsentierten organischen Ordnung am Beginn der Moderne jedoch bricht das Repräsentationsmodell, in dem Hegel die eigentliche Funktion der Kunst erkennt, zusammen – woraus Hegel bekanntlich den Schluss zieht, die Kunst sei „nach der Seite ihrer höchsten Bestimmung für uns ein Vergangenes“. Die Vermittlung von Allgemeinem und Individuellem, die sich bislang über den Begriff und die Idee des Körpers vollzogen hatte, zerfällt für Hegel in zwei nicht mehr vermittelbare Seiten. Das Allgemeine wandelt sich zum abstrakten Gesetz des Staates, das Individuelle partikularisiert sich zur Subjektivität des Gemüts und des Charakters. Für Hegel spiegelt die ästhetische Lebendigkeit der Kunst seiner Zeit nur noch die Subjektivität des Künstlers.

Man muss Hegels Urteil über die Kunst seiner Gegenwart nicht zustimmen, um dennoch anerkennen zu müssen, dass jenes Szenario, das den älteren Lebendigkeitstopos der Kunst bestimmte – die Begriffstrias von Leben, Körper und Organismus sowie deren wechselseitige Explikation –, in der Moderne seinen Leitcharakter verliert. Zum einen bedeuten diese Begriffe in der Moderne wesentlich anderes und eröffnen entsprechend andere Bezugsfelder, was nicht zuletzt dazu führt, dass sie nicht mehr aufeinander hin durchlässig sind, sich nicht mehr wechselseitig spiegeln und ergänzen. Zum anderen entfernt sich die Kunst von der Auffassung als anthropomorph bestimmte Mimesis – bis zu den maximalen Gegenpositionen der ungegenständlichen Kunst, zu denen auch Barnett Newmans Gemälde gehören, die hier mein kontrastierendes, zu einem anderen Begriff ästhetischer Lebendigkeit zwingendes Beispiel abgeben sollen. Indem Newman sich von jeglichem Anthropomorphismus abwandte, ist seine Malerei nicht mehr in die korrelativen Dialektiken von Repräsentation und Präsenz, Tod und Leben, Körper und Seele eingespannt, und indem seine Malerei ihre Dinghaftigkeit deutlich hervorkehrt, zielt sie nicht länger auf eine Illudierung des Betrachters, die ihn das Medium vergessen und das Dargestellte gleichsam lebendig aus dem Bild heraustreten sehen lassen soll. Wie also lässt sich angesichts solcher künstlerischer Praktiken ästhetische Lebendigkeit neu und anders bestimmen?

Einleitung
Ästhetische Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge Kapitel 1: Der ältere Topos ästhetischer Lebendigkeit
Ästhetische Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge Kapitel 2: Prolegomena zu einer modernen Fassung ästhetischer Lebendigkeit
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