Zeichnung Moderne Tradition Schiele Kandinsky

Universalität und Geschichtlichkeit des Zeichnens als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 172 KB)

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Universalität und Geschichtlichkeit des Zeichnens – am Beispiel von Egon Schieles Weiblichem Akt mit angezogenem linkem Knie

in: Linea. Vom Umriss zur Aktion. Die Kunst der Linie zwischen Antike und Gegenwart, Ausstellungskatalog Kunsthaus Zug, Ostfildern 2010, S. 154-165.

Kapitel V: Modernität und Tradition in der Zeichenkunst um 1900

Das lange, bis in den Ersten Weltkrieg hineinragende 19. Jahrhundert ist eine Umbruchphase der Kunst, in der das allmähliches Auslaufen der Tradition und die Fundierung eines Neuen sich überlagern. Das gilt auch für Schieles Zeichnung, die einen übergänglichen Charakter besitzt. Die Zeichenmedien Papier und Kohle, das Thema des weiblichen Akts und das zwar bildhafte, aber gleichwohl intime Format fügt sich einer weit zurückreichenden Bildgeschichte ein. Die Modernität des Blatts wiederum liegt in der beschriebenen Transformation der Zeichenpraxis, die die Medialität der Zeichnung ebenso betrifft wie die Auffassung des Sujets, an dessen Behandlung auffällt, dass die Schönheit der Linie wie auch des dargestellten Körpers, die in der traditionellen Aktzeichnung wechselseitig auseinander hervorgehen sollten, bei Schiele einem innere und äußere Kräfte „seismografisch“ registrierenden Duktus weicht, dessen Anspruch auf „Unmittelbarkeit“ keine schönheitliche Idealisierung duldet. Vor allem aber liegt die Modernität von Schieles Frauenakt in der Auffassung des Zeichengrunds als Feld, das von immanenten Kräften bestimmt wird, noch bevor die erste Markierung erfolgt ist, sowie in der Aufwertung der Linie zu einer „autonomen“ Sinnstifterin, noch bevor sie in eine denotative Funktion getreten ist. Beides wird, um nur einen der Fluchtpunkte der weiteren Entwicklung anzudeuten, in Wassily Kandinskys 1926 erschienener Schrift zu Punkt und Linie zu Fläche in einer Systematik erörtert werden, die allerdings von der in der Zwischenzeit erfolgten Exploration ungegenständlichen Darstellens profitieren wird. Indem Schieles Zeichnung zwischen Traditionalität und Modernität schwankt, hängt die Art und Weise, wie sie uns erscheint, von der Perspektive ab, unter der wir sie betrachten: Je nach Perspektive hat sich dann in Schieles Zeichenpraxis, im Vergleich zu früheren Zeugnissen der Zeichenkunst, entweder nichts oder aber alles geändert.

Kapitel I: Ursprünglichkeit(en) der Zeichnung
Kapitel II: Disegno
Kapitel III: Autonomie
Kapitel IV: Schieles „Weiblicher Akt mit angezogenem linkem Knie“
Kapitel Kapitel V: Modernität und Tradition in der Zeichenkunst um 1900
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