Theatricality / Michael Fried als Druckversion (PDF mit Fn. 284 KB)
Theatricality / Michael Fried
in: skulptur projekte münster 07, Ausstellungskatalog Westfälisches Landesmuseum Münster, hrsg. von Brigitte Franzen, Kasper König und Carina Plath, Köln 2007, S. 465-466.
Den Begriff der Theatralität/Theatricality entwickelte Michael Fried in einer Kritik der Minimal Art, die 1967 unter dem Titel Art and Objecthood erschien. Der Begriff sollte jene Merkmale zusammenfassen, die minimalistische Werke inferior, ja, zum „Gegensatz von Kunst“ werden ließen. Von Kunstwerken erwartet Fried, wie seine Würdigung Anthony Caros zeigt, die Aufhebung ihrer Objekthaftigkeit durch Form. Die syntaktische Verbindung der einzelnen Elemente führe bei Caros Skulpturen zur Illusion abstrakter Modalitäten, beispielsweise der Schwerelosigkeit. Die Erfahrung dieser Modalitäten habe keinerlei subjektiven Einschlag, da der situativ eingebundene Blick des Betrachters von der Skulptur gleichsam neutralisiert werde: Ein einziger Blick aus jeder möglichen Perspektive reiche aus, um das Werk in seiner ganzen Tiefe und Fülle zu erfahren. Auf diese Weise gelinge der Kunst die Herstellung einer „andauernden und zeitlosen Gegenwart“. Diese transzendente Kraft der Kunst wurde gemäß Fried durch die bloß buchstäbliche, konkrete Gegenwart der minimalistischen Objekte zerstört. Frieds Kritik richtete sich insbesondere gegen Robert Morris, der in seinen Notes on Sculpture genau die von Fried abgelehnte Situationsgebundenheit der Kunsterfahrung stark machte. Die Arbeiten nähmen, so Morris, die Beziehungen aus der Arbeit heraus und machten sie „zu einer Funktion von Raum, Licht und Gesichtsfeld des Betrachters“. Inhalt der Erfahrung sollten weniger die inneren Bezüge der Skulptur sein (die ja tatsächlich bis zum Einswerden von Form und Objekt minimiert waren), als vielmehr eine „erweiterte Situation“, die Skulptur, Umraum und Betrachter einschließt und die „körperliche Teilnahme“ des letzteren einfordert. Morris’ Thematisierung der Dauer der Erfahrung kritisiert Fried als „paradigmatisch theatralisch“, da das Theater jene Kunstform sei, die den Betrachter mit der Endlosigkeit einer „zugleich heranrückenden und zurückweichenden“ Zeit konfrontiere. Im Kern zielt der Vorwurf der „Theatralität“ auf den phänomenologischen Zugang zur Kunst, der unter Künstlern und Kritikern dieser Zeit weit verbreitet war. In einem wörtlicheren Sinne theatral werden Werke der Minimal Art jedoch durch ein weiteres von Fried kritisiertes Merkmal, das er Bühnenpräsenz nennt. Die geometrischen Objekte Morris’, Donald Judds und vor allem Tony Smiths wiesen einen latenten Anthropomorphismus auf, der dazu führe, dass man von ihnen „bedrängt“ werde wie von der „stummen Gegenwart einer anderen Person“. Damit widersprach Fried der Selbsteinschätzung beispielsweise Judds, der die „Spezifität“ seiner Skulpturen gerade darauf hin anlegte, über ihre bloße Sichtbarkeit hinaus keinerlei Zeichencharakter zu haben. Er widersprach jedoch auch gewissermaßen sich selbst, da der kritisierte Antropomorphismus ein illusionistisches, ja expressives Moment an der Minimal Art anerkannte, das er ihr aufgrund der Gleichsetzung von Form und Objekt zugleich absprach.
Frieds Kritik der Minimal Art erfolgte vor dem Hintergrund eines kunsttheoretischen und kunstgeschichtlichen Argumentes, das er in den folgenden Jahren auf die gesamte Moderne ausweitete. Der Gegensatz zwischen Theatralität/Theatracility und Versunkenheit/Absorption (wie Fried den positiven Gegenpol der Kunsterfahrung nannte) wurde in Monografien zur Kunst des 18. Jahrhunderts, Gustave Courbet und Edouard Manet zum ebenso künstlerischen wie moralischen Grundkonflikt der Moderne erklärt. Die hier entfaltete These lautet wie folgt: Im 18. Jahrhundert bilde sich die Grundkonvention heraus, dass Kunstwerke für die Betrachtung geschaffen seien. Der intentionale Betrachterbezug habe zur Folge, dass künstlerische Strategien entwickelt werden müssten, das Werk in sich versunken erscheinen zu lassen. Erst die Versunkenheit des Werkes in sich selbst erzeuge die Fiktion der Nichtexistenz des Betrachters, und erst diese wiederum ermögliche der Kunst die Existenz in jener „andauernden und zeitlosen Gegenwart“, die Fried als Kriterium künstlerischen Gelingens ansieht. Ob im Verweben von kunstkritischen, kunsttheoretischen und kunstgeschichtlichen Argumenten eher die Stärke oder aber die Schwäche von Frieds Argumentation liegt, ist in der Fried-Rezeption umstritten.
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