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Zur ästhetischen Lebendigkeit moderner Kunst-Dinge
in: The challenge of the object: 33rd congress of the International Committee of the History of Art/Die Herausforderung des Objekts: 33. Internationaler Kunsthistoriker-Kongress, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, 15.-20. Juli 2012, hrsg. von Georg Ulrich Großmann und Petra Krutisch, Nürnberg 2013, S. 1249-1252.
Einleitung
Wie umfassend auch die Kunst seit den historischen Avantgarden jeden vom Alltäglichen abgehobenen Werkcharakter unterlief – es bleibt die Frage, was Objekte der Kunst von Objekten der Nicht-Kunst unterscheidet. Ein traditionsreiches Differenzkriterium scheint mir noch heute relevant zu sein: Objekten der Kunst schreiben wir eine gegenüber Alltagsdingen besondere Lebendigkeit zu. Auf der Objektseite ist diese Lebendigkeit das Ergebnis ästhetischer Strategien, die die tote Materie des Kunstwerks zu beleben scheinen, auf der Seite des Betrachters wirkt sie sich so aus, dass man vom Kunstwerk in eine je besondere Dynamik hineingezogen wird. Diese Dynamik kann unterschiedlich bestimmt werden, beispielsweise im Sinne Kants als ‚Belebung der Gemütskräfte‘, aber auch als Immersion des Betrachters in die fiktionale Welt des Kunstwerks, in der er sich zu bewegen können scheint. Das Urteil, ob etwas Kunst ist oder nicht, lässt sich seit den historischen Avantgarden immer weniger aufgrund von bestimmten, für die entsprechende Qualifikation als notwendig angesehenen Gegenstandseigenschaften fällen. Vielmehr ist es jetzt erfahrungsästhetisch grundiert: Kunstwerke sind Gegenstände, die dadurch von anderen Gegenständen unterschieden sind, dass sie bestimmte Erfahrungen eröffnen – Erfahrungen, zu denen meines Erachtens prominent die einer Lebendigkeit des Objekts beziehungsweise einer Verlebendigung des Betrachters gehören. Was darunter angesichts von Kunstobjekten der Moderne zu verstehen ist, will ich in aller Skizzenhaftigkeit anhand eines einzigen Beispiels – den Gemälden Barnett Newmans – zu umreißen versuchen. Am Beispiel Newmans soll ein Weg aufgezeigt werden, den seit der Antike prominenten Topos der ästhetischen Lebendigkeit für die Moderne so zu reformulieren, dass sowohl die tiefgreifenden Transformationen der modernen Kunst als auch die übergreifenden Konstanten zwischen Vormoderne und Moderne heraustreten können.