Andy Warhol Reproduktion Medialisierung Siebdruck

Warhols Exerzitien als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 3.160 KB)

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Warhols Exerzitien oder Vom Umgang mit den Bildern im Bild

in: Warhol. Polke. Richter. In the Power of Painting I. Eine Auswahl aus der Daros Collection, Zürich/Berlin/New York 2001, S. 25-32.

Warhol hat die Koordinaten künstlerischer Produktivität nachhaltig verschoben. Der Tradition gemäss handelt ein Bild von etwas, das selbst nicht Bild ist, indem es die räumliche Wirklichkeit zweidimensional neu formuliert. Warhols Bilder indessen inszenieren etwas, das selbst schon Bild, allgemeiner gesprochen, selbst schon Fläche ist: Werbeanzeigen, Comic Strips, Dollarscheine, vor allem aber Fotografien. Diese Verschiebung hat zunächst zur negativen Auffassung geführt, Warhols Kunst sei tautologisch, also wiederholend im Sinne einer Verdoppelung, seine Bilder blosse visuelle Readymades. Der Diskurs der Oberflächen wurde als Oberflächlichkeit missgedeutet – wobei allerdings Warhol mit seinen lakonischen Äusserungen wie „Wenn du alles über Andy Warhol wissen willst, brauchst du bloß auf die Oberfläche meiner Bilder, meiner Filme, meiner selbst zu sehen; dort bin ich. Es gibt nichts dahinter.“ kräftig mithalf. Gleichwohl: Niemand verwechselt einen Warhol mit der reproduzierten Vorlage, die in einem Prozess vielfältiger Entscheidungen und Manipulationen auf entscheidende Weise modifiziert wird. Warhol steigert jeweils im gleichen Zuge die Präsenz und die Absenz des Sichtbaren, lässt das Vermittelte unvermittelt und das Unvermittelte unendlich vermittelt erscheinen. Doch wie immer man Warhols künstlerische Massnahmen beschreibt, der entscheidende Bruch mit der Tradition des Tafelbildes besteht weniger in der Reduktion des künstlerischen Tuns auf ein Abklatschverfahren, sondern darin, dass die ins Bild gesetzte Wirklichkeit immer schon Bild ist. Seit den frühen 60er Jahren, als Warhol sein künstlerisches Konzept entwickelte, wurde die Tendenz immer deutlicher, Kommunikation visuell zu organisieren und Gegenwärtigkeit weniger als physische, sondern als bildlich-mediale Präsenz zu begreifen. So erscheint Warhols „pictorial turn“ im Rückblick so folgerichtig wie visionär. Die Tendenz zur Medialisierung, deren gesellschaftliche, psychische und kulturelle Folgen erst in Umrissen erkennbar werden, hat dazu geführt, Warhols Bedeutung über die Jahre stetig anwachsen zu lassen.

Von den Pop-Künstlern hat Warhol wohl am deutlichsten erkannt, dass die Auseinandersetzung mit diesen Veränderungen nicht nur ein neues Themenspektrum, sondern vor allem eine andere Art des Bildermachens erfordert. Mit der konsequenten Anwendung reproduktiver und serieller Verfahren bestimmt die Medialisierung sowohl die Inhalte wie auch den Prozess des Bildermachens selbst. Unter veränderten Bedingungen wahrt Warhol einen Grundzug der Kunst: die Gleichwertigkeit von Dargestelltem und Darstellungsweise, Inhalt und Form, die sich in einem Kunstwerk gegenseitig bestimmen und befragen. Diese Äquivalenz zeigt sich, wenn wir die wechselnden Medien betrachten, die Warhol im Frühwerk aufeinander folgen liess. Malte er die ersten Arbeiten noch von Hand, kopierte er hier Vorlagen, die ebenfalls auf Handzeichnungen basierten; Beispiele dafür sind Storm Door und Where Is Your Rupture, beide von 1961, oder die Do-It-Yourself-Bilder von 1962. Die Letzteren eröffnen dabei nicht zufällig die Spannung zwischen individuellem Selbermachen und Vorfertigung, ohne jedoch diese Spannung als Konflikt zu inszenieren. Vielmehr scheinen diese Bilder zu sagen, dass Warhol es gerade mag, so zu malen, wie es die Vorlage vorgibt. „Ich will nicht, dass es im Grossen und Ganzen dasselbe ist, es sol haargenau dasselbe sein“, schreibt Warhol in POPism, seinem Rückblick auf die sechziger Jahre.

So erscheint es nur folgerichtig, dass er ab 1962 Handschriftlichkeit zu eliminieren begann. Zunächst wandte er sich Schablonen und dann dem Siebdruck zu. Dem Medium entsprechend tritt jetzt die Serialität ins Bild. Warhol betont sie durch eine formale Erfindung, die wie keine andere zu seinem Markenzeichen wurde: die mehrfache Wiederholung desselben Motivs auf einer einzigen Leinwand. So zeigen 40 Two-Dollar Bills oder 210 Coca-Cola Bottles genau diejenige Anzahl von Geldscheinen und Flaschen (bzw. von Werbezeichnungen dieser Flasche), die der Titel nennt. Das Bild ist das Ergebnis des geduldigen Nebeneinandersetzens der Drucke, d.h. eines standardisierten, regelhaften Produzierens. Indem die Geldscheine und Flaschen die Leinwand restlos bedecken, wird zugleich deutlich, dass es nicht um genau diese Anzahl Objekte geht, sondern eine potenziell endlos fortsetzbare Reihe. Bei diesen Bildern, zu denen auch Handle with Care – Glass – Thank You gehört, erweist sich das Prinzip der Form als Prinzip der Produktion. Damit verschieb sich der inhaltliche Fokus von der Darstellung eines Objektes zur Darstellung seiner infiniten Wiederholung. Das aber ist den gezeigten Objekten angemessen, die beliebig reproduzierbar sind, ohne ihr Wesen einzubüssen, ja gewissermassen eine reproduktive und serielle Identität besitzen. Denn ein individueller Geldschein oder ein einmaliges Markenprodukt wären widersinnig – sie könnten ihren Zweck nicht erfüllen. „Das Grossartige an diesem Land ist“, schreibt Warhol in seiner Philosophy, „dass in Amerika die reichsten Konsumenten im Wesentlichen die gleichen Dinge kaufen, wie dir ärmsten. […] Der Präsident trinkt Cola, Liz Taylor trinkt Cola, und – stell dir vor – auch du kannst Cola trinken.“ Wie bereits die Do-It-Yourself-Bilder das Selbermachen mit dem Erfüllen eines Vorgegebenen gleichsetzen, so besteht Warhols Herausforderung generell darin, dass er zwischen freier Wahl und Notwendigkeit, Subjektivität und Standardisierung keinen Gegensatz zu empfinden scheint.

Besonders deutlich wird die Herausforderung bei den Fotosiebdrucken, die die Produktion ab 1962 bestimmen. Im Unterschied zu den Coca-Cola– oder Dollar-Bildern fokussieren sie das Singuläre – im Guten wie im Schlechten: Stars wie Elvis Presley oder Liz Taylor, bedeutende Kunstwerke wie Leonardos Mona Lisa oder Wahrzeichen wie die Freiheitsstatue, Katastrophen kleineren oder grösseren Ausmasses, beispielsweise die Vergiftung zweier Frauen in Tunafish Disaster, den Selbstmord des Silver Jumping Man oder die explodierende Atomic Bomb. Gleichwohl werden sie einer Vervielfältigung unterworfen, die zuweilen nicht geringer ausfällt als die der Geldscheine und Paketaufkleber. Bei den Stars beginnt es bei Double Liz und Elvis 4 Times und endet bei Marilyn x 100. Doch da Warhols Bilder nicht von Menschen, sondern von Bildern handeln, trifft er auch hier den entscheidenden Punkt. Denn ein Star ist weniger ein Individuum aus Fleisch und Blut als vielmehr eine Bildrealität, ein „Image“, geheimnisvoll und auratisch, wie es nur Bilder sein können, denen letztlich keine Realität hinter dem Bild entspricht. Gemäss der ikonischen Logik des Stars führt die reproduktive Vermehrung nicht zur Minderung der Einzigartigkeit, sondern bildet die Grundlage des Ruhms: Mehr ist mehr. Dasselbe gilt für die Mona Lisa: Längst ist Leonardos Gemälde nicht mehr berühmt, weil es grossartig, sondern grossartig, weil es berühmt ist. Ganz gegen Benjamins These vom Auraverlust durch technische Reproduzierbarkeit basiert sein einzigartiger Rang auf unablässiger Reproduktion. Warhols Produktivität, die das Bild nur im Plural kennt, exerziert vor, wie Quantität und Qualität zur Deckung kommen können: Bedeutsam ist allein, was endlos wiederholt wird.

Die überraschendste Variante medialer Buchstäblichkeit entwickeln jedoch die sogenannten „Katastrophenbilder“, motivisch und formal Warhols radikalste Serie. Die fotografischen Originale, die sich Warhol mit oft grossem Aufwand beschaffte, unterwarf er in mehreren Schritten einer qualitativen Verschlechterung, etwa indem er den Kontrast übersteuerte und die Körnigkeit erhöhte. Beim Drucken führte er den Prozess weiter, verteilte die Druckfarbe ungleich, reinigte das Sieb zwischen den Druckvorgängen unzureichend, liess die Bilder sich überlappen oder schnitt sie am Rand ab. Die schlampige Gleichgültigkeit schiebt vor das erschreckende Motiv einen Filter, der die Konfrontation mildert. „Filter“ ist dabei ganz wörtlich zu nehmen: Das Siebdruck-Sieb heisst englisch screen, was zugleich Filter, Schirm und Tarnung bedeutet. Warhols screenprints sind „Tarndrucke“, die den Sachverhalt ebenso verbergen wie zeigen. Doch diese Beschreibung trifft den Effekt nur zur Hälfte. Denn das scheinbar schlampige Verfahren ist so kalkuliert, dass es das Trauma der Bilder nicht nur abschirmt, sondern auf der Ebene des Bildes wiederkehren lässt. In Suicide (Silver Jumping Man) gerät besonders der letzte Druck so löchrig und fleckig, dass das Motiv, vor allem der in den Tod Springende, buchstäblich ausradiert wird. Indem er zum blinden Fleck des Bildes mutiert, stirbt er gewissermassen ein zweites Mal. Ein vergleichbares Gleiten zwischen Motiv und Medium zeigt sich bei Race Riot: Das Zerreissen der Hose durch die Schäferhunde, die die Polizei von Birmingham (Alabama) gegen schwarze Bürgerrechtsdemonstranten hetzte, verwandelt sich in ein zunehmendes Zerfleddern des Bildes selbst. Auch die serielle Wiederholung erzeugt einen zweideutigen Effekt. Das Nebeneinandersetzen der Drucke verwebt die Bilder zu einem ornamentalen Muster, das dem Bildgegenstand ganz äusserlich bleibt und inhaltlich nur Redundanz erzeugt. Das Muster betont die Oberfläche des Bildes und drängt zugleich das Motiv in den Hintergrund. Doch statt das Dargestellte ausschliesslich zu entwerten, kippt der Effekt letztlich ins Gegenteil. Es scheint, als setze die Darstellung gewissermassen immer wieder von neuem an und schiebe zugleich die Unverdaulichkeit des Motivs vor sich her, bis der Darstellungsprozess abbricht oder aus dem Ruder läuft. Entweder beginnen sich die Bilder übereinanderzuschieben und versacken schliesslich in chaotischer Schwärze wie bei Red Explosion (Atomic Bomb), oder die Drucke werden, wie in Suicide (Silver Jumping Man), ordentlich neben- und untereinandergesetzt, bis der Druckvorgang plötzlich stockt. Das letzte Bild fällt aus und hinterlässt ein Stück leere, sprachlose Leinwand.

Die beiden Aspekte eines jeden Bildes, zugleich etwas und sich selbst zu zeigen, oder anders formuliert: zugleich sichtbar zu machen und sichtbar zu sein, diese beiden Aspekte werden in den Disaster Paintings kurzgeschlossen. Den Bildern geschieht selbst, was sie zeigen, die dargestellte Katastrophe wird zur Katastrophe des Bildes. Zwischen Bild und Wirklichkeit, Sein und Erscheinen zieht Warhol ein Gleichheitszeichen. Darin liegt die Pointe seiner bildnerischen Tautologie.

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