Manet Zola als Druckversion (PDF mit Abb. 635 KB)
Das Fleisch des Malers. Manet malt Zola, Zola schreibt über Manet
in: Magazin der Basler Zeitung, Nr. 13, 3.4.1999, S. 6-7.
Kapitel IV: Das Bild als Artefakt
Manet gibt Zola den eleganten und gleichwohl deutlichen Wink, dass den Bezugsrahmen seiner Bilder nicht allein die „Schöpfung“ und sein „Temperament“ bilden, sondern dass sich dazwischen der „Filter“ anderer Bilder schiebt, das heisst bereits bestehende künstlerische Formulierungen, an denen er sich orientiert. Vor allem mit Velásquez hat er sich durch sein ganzes Werk hindurch auseinandergesetzt. Nach der Rückkehr von seiner Spanienreise 1865 schreibt er an einen Freund, was alleine die Reise gelohnt habe, sei das Werk von Velásquez gewesen. Dieser sei der „der Maler der Maler“, in dessen Werk er die Realisation seines Ideals in der Malerei gefunden habe. Eine Zeichnung von 1876 zeigt eine phantasmagorische Überblendung des eigenen Ateliers mit demjenigen Velásquez in den „Meninas“, und die Haltung, in der sich Velásquez dort darstellt, ahmt Manet nach, als er 1879 ein Selbstportät malt.
Der spanische Meister ist künstlerisches Vorbild und Alter ego zugleich. Was ihn an Bildern wie den „Trinkern“ fasziniert haben dürfte, sind Eigenschaften, die in Manets Kompositionen wiederzufinden sind, so etwa die Spannung zwischen dem konfrontierenden, durch Blicke aus dem Bild akzentuierten Betrachterbezug und der gleichzeitigen streng bildparallelen, friesartigen Aufreihung der Figuren, die den Tiefenraum an die Bildfläche zurückbindet. Und auch Velásquez Bilder zeichnet die Dialektik von Konzentration und Zerstreuung, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit aus – Aspekte, die er in den „Meninas“ zum Höhepunkt führt.
In einem anderen Brief, den Manet noch aus Madrid schreibt, findet sich eine Stelle, die die Brücke zum japanischen Farbholzschnitt schlägt. Velásquez‘ aussergewöhnlichstes Bild, schreibt Manet, sei das Porträt eines Schauspielers, bei dem der Hintergrund verschwinde und der von nichts als Luft umgeben sei. Tatsächlich zeigen sich zwischen Velásquez „Pablo de Valladolid“ und dem japanischen Farbholzschnitt erstaunliche Parallelen. Der „skandalöse“ Modernismus der Olympia, Velásquez caravaggeskes Frühwerk und fernöstliche Grafik: Was kunsthistorisch nicht leicht zusammenzubringen ist – die Rede vom verbindenden „Realismus“ besagt wenig -, verbindet sich in Manets bildnerischem Denken und ist im“Bild im Bild“ des Bildnisses Zolas auch grossartig ineinanderkomponiert.
Aufgrund der Divergenzen von Zolas und Manets Bildauffassungen führt das „heimliche Selbstbildnis“ (Emil Maurer), das Manet dem Bildnis Zolas unterschiebt, zwangsläufig zu einer deutlichen Korrektur Zolas. Die „Lehre“ dieser Korrektur lautet: Ein Bild ist, vor allem anderen, ein Artefakt, und als solches steht es nicht nur im weiten Zusammenhang der Menschheitsgeschichte und Gottes Schöpfung, sondern vor allem im wesentlich konkreteren Zusammenhang der Geschichte der Kunst und ihrer jeweiligen bildnerischen Verfahren.
Was am Bildnis Zolas ins Auge fällt, ist der insistierende Verweis auf das Bild als Bild. Zum einen geschieht das durch die Komposition, die mit dem Netz der Orthogonalen, den bildparallelen Flächen und der Ausschnitthaftigkeit die „Bildlichkeit“ des Sichtbaren an jeder Stelle manifest werden lässt. Das Bild ist nicht Sein – „Natur“, „Fleisch“ oder „Temperament“ – sondern Erscheinen, und zwar nicht nur von etwas, sondern immer auch seiner selbst.
Zum anderen geschieht es durch das Motiv des „Bildes im Bild“, das das Bildnis Zolas zu einem Beispiel von „Meta-Malerei“ macht. Gewiss hat Zola Manet darin richtig beschrieben, dass er ihn im Bemühen sieht, aus der Boudoir-Malerei des offiziellen Salons auszubrechen und die Kunst auf die Höhe der Zeit zu bringen. Noch heute werden Bilder wie das „Frühstück im Freien“ oder die „Olympia“ oft als „Geburt der Modern“ angesehen. Doch vereinseitigt Zola Manets Modernität, indem er sie als strikten Empirismus des Sehens und als „Vergessen“ der Tradition begreift.
Manets Bilder zeichnen sich durch die Dialektik aus, die Krise der offiziellen Malerei des Salon durch den Rückgriff auf bildnerische Lösungen der Tradition – auf Velásquez, Giorgione, Tizian und andere – zu überwinden. Darin ist Manet Cézanne vergleichbar, dessen Ziel es ebenfalls war, unter den Bedingungen der Moderne mit dem gleichzuziehen, was er die „Kunst der Museen“ nennt, und die sich für ihn in Poussin oder Veronese inkarniert. Was Cézanne dabei als das Problem der „Realisation“ beschreibt, meint nichts anderes als die Schwierigkeit, diesen historischen Spagat zu vollziehen.
Als der alternde Zola es 1896 ein letztes Mal unternimmt, über den Salon zu schreiben, wird er die Geister, die er rief, nicht mehr los:
„Ach, wie viele Lanzen habe ich für den Triumph des Farbflecks gebrochen! Aber hätte ich den schrecklichen Missbrauch vorhersehen können, der nach dem Sieg der so richtigen Theorie des Künstlers mit dem Fleck getrieben werden sollte? Im Salon gibt es nurmehr Farbflecken, ein Porträt ist nurmehr ein einziger Fleck, Figuren sind nurmehr Flecken, nichts als Flecken sind Bäume, Häuser, Kontinente und Meere. Man gelangt übergangslos vom Beitrag eines Malers, der einfach ein Nebeneinander von weissen Flecken ist, hin zum Beitrag eines anderen Malers, der ein Nebeneinander von schwarzen Flecken ist. Es ist scheusslich, scheusslich, scheusslich.“
Es wird den Nachfolgenden vorbehalten bleiben, eine Verbindung zwischen einer Auffassung der künstlerischen Konzeption als „unbewusst“ und der Unförmigkeit des „Flecks“, der dabei entsteht, zu ziehen. Zola berührt eine Grenze, die im 20. Jahrhundert in vielfacher Weise thematisch wird. Wir finden sie bei Künstlern des „Unförmigen“ wie Jean Dubuffet, der 1950 eine Paraphrase der „Olympia“ malt, die jetzt tatsächlich ein zum Fleck zerdrückter Körper zu sein scheint, sowie in den Texten Georges Batailles, des frühen Jean-Paul Sartre, Jacques Lacans oder des späten Roland Barthes.