Manet Zola als Druckversion (PDF mit Abb. 635 KB)
Das Fleisch des Malers. Manet malt Zola, Zola schreibt über Manet
in: Magazin der Basler Zeitung, Nr. 13, 3.4.1999, S. 6-7.
Kapitel II: Zolas Kunstauffassung …
Zum Höhepunkt kommt die Allianz der beiden im Jahr 1868. Manet stellt im Salon das Bildnis Zolas aus, Zola wiederum widmet Manet die Buchausgabe seines dritten Romans, „Madeleine Férat“. Die Übereinstimmung scheint perfekt. Nicht Zola, sondern höhere Mächte haben sie zusammengeführt. Es sei die Masse, die seine Freundschaft für Manet gewollt hätte, schreibt Zola in seiner Widmung.
Doch die Freundschaft ist asymmetrisch. So emphatisch Zola sie beschwört, so verhalten reagiert Manet. Auch wenn ihn Zolas Fürsprache inmitten der hagelnden Kritik tröstet, wird er sich in dessen Beschreibungen nur bedingt wiedergefunden haben. Neben den Briefen, die seine Zurückhaltung durch ihre Kürze und ihre allgemeinen Formulierungen bezeugen, ist das Bildnis Zolas der wichtigste Hinweis darauf. Im Grunde widerlegt es Zolas Kunst- und Manet-Verständnis Punkt für Punkt.
Zola entwickelt seine Kunstauffassung vor der Begegnung mit Manets Bildern, auf die er, wie er schreibt, seine Sichtweise der Kunst „bloss anwende“. In mancherlei Hinsicht ist sie wenig originell und greift auf gängige rhetorische Topoi der Kunstschriftstellerei zurück. Ihr Erfolg liegt jedoch in ihrer radikalen Einfachheit. Im Zuge einer vernichtenden Kritik an Pierre-Joseph Proudhons nachgelassenem Werk „Von den Grundlagen und der sozialen Bestimmung der Kunst“ spricht er sich gegen jede moralische oder politische Inanspruchnahme der Kunst aus. Der idealisierten Darstellung der Wirklichkeit, die nach Proudhon zu einer sittlichen und physischen Verbesserung der Menschheit führen soll, stellt er die Formel gegenüber, an der er Zeit seines Lebens festhalten wird: „Die Kunst ist eine Ecke der Schöpfung, gesehen durch ein Temperament.“ Moderner formuliert – als „Kunst ist die subjektive Sicht des Künstlers auf die Welt“ -, unterschrieben manche die Definition auch heute noch.
Zolas Standpunkt ist jedoch kein subjektivistischer Relativismus. Das Kunstwerk setzt sich aus zwei Elementen zusammen, dem Element der unveränderlichen Natur, das den Werken als gemeinsames Mass dienen kann, und dem Element des Individuellen, des „Temperaments“, das unbegrenzt veränderlich ist. Das „Temperament“, das Baudelaires romantische Kunsttheorie noch auf die Imagination des Künstlers bezog, versteht Zola als physiologischen und psychologischen „Mechanismus“ der Wahrnehmung. So sehr das Kunstwerk Ausdruck eines Individuums ist, so sehr vermag es gleichzeitig der Erkenntnis der Natur einen neuen Aspekt hinzuzufügen.
Zola entwirft eine grossartige Vision, in der sich die Dualitäten von Subjekt und Welt, Natur und Geschichte versöhnen. Er wünscht sich, die Gemälde aller Maler wären in einem riesigen Saal versammelt, in dem das Epos der menschlichen Schöpfung Seite für Seite gelesen werden könnte. Das Thema wäre stets die gleiche Natur, die gleiche Realität, und die Variationen die besonderen Weisen, mit denen die Künstler Gottes Schöpfung wiedergegeben hätten. Das Schöne zeigte sich hier nicht länger als ein absolutes, allgemeingültiges Mass.
„Das menschliche Leben selbst wird das Schöne, das menschliche Element, das sich mit dem unveränderlichen Element der Realität vermischt und eine der Menschheit gehörende Schöpfung hervorbringt.“
Der entscheidende Faktor in Zolas Formel scheint mir jedoch weder die „Schöpfung“ noch das „Temperament“ zu sein, sondern das, was beide zusammenbringt und zum Kunstwerk werden lässt – dieses unscheinbare „gesehen durch“ („vu à travers“). In einem langen Brief aus dem Jahr 1864 entwickelt Zola die dafür grundlegende „Filter-Theorie“.
„Jedes Kunstwerk ist wie ein Fenster, das auf die Schöpfung hin geöffnet ist. In die Fensteröffnung ist eine Art transparenter Filter eingepasst, durch den hindurch man die Objekte mehr oder weniger verändert erblickt. In einem Kunstwerk sehen wir die Schöpfung durch einen Menschen, durch ein Temperament, eine Persönlichkeit hindurch. Der Künstler setzt sich in den direkten Kontakt mit der Natur, sieht sie auf seine Weise, ist von ihr durchdrungen, und schickt sodann ihre Lichtstrahlen zurück, die er wie ein Prisma, entsprechend seiner Natur, bricht und färbt.“
Die Metapher vom Kunstwerk als „geöffnetem Fenster“ greift auf die klassische Definition des neuzeitlichen Bildes zurück, die Leon Battista Alberti in seinem Traktat „Über die Malerei“ (1435) prägt. Doch Zola verändert die Metapher auf bedeutsame Weise. Bei Alberti steht der Maler diesseits des Fensterrahmens, durch den hindurch er die Objekte erblickt, die er zu malen beabsichtigt. Das Bildfeld entspricht einem vertikalen Schnitt durch die Sehpyramide. Diese Dreiteilung von sehendem Subjekt, Rahmen des Sehens und gesehenem Objekt verkürzt Zola auf das Gegenüber von sehendem Subjekt als „Filter“ und gesehenem Objekt. Der „Filter“ liegt nicht länger zwischen dem Maler und der Welt, sondern die Persönlichkeit des Malers ist selbst dieser „Filter“. Somit kann, nach Zola, die Wahrnehmung unmittelbar ins Kunstwerk übergehen, und umgekehrt erblicken wir in einem Kunstwerk die Welt nicht durch ein Bild, sondern durch eine Persönlichkeit hindurch. Der „Filter“ im Inneren des Malers und die Leinwand des Bildes fallen zusammen, das Subjekt ist gleichsam auf den Rahmen des Bildes gespannt.
Damit erhält auch Zolas Diktum, Manets Bilder seien „das Fleisch und Blut des Malers“, eine andere Färbung. Denn die Schöpfung des Kunstwerks, die sich im Inneren des Künstlers im Augenblick der Wahrnehmung vollzieht, gleicht der Zeugung eines Kindes. Der Künstler müsse verstehen, schreibt Zola in einem Artikel über Hippolyte Taine, dass die Werke zärtlich geliebte Kinder seien, denen man sein Blut und sein Fleisch gäbe. Je mehr sie dabei ihren Vätern gleichten, desto berührender seien sie. Den Augenblick der „Zeugung“ eines Kunstwerks begreift Zola konsequenterweise als unbewusst – denn wie sollten wir ein Wissen davon haben, was wir im Augenblick der Zeugung entstehen lassen?
Eine solche Auffassung des Kunstwerks schliesst nun aber das Verständnis des Bildes als Artefakt, als bewusst Geschaffenes, aus. Was in Zolas Kunsttheorie fehlt, ist ein Verständnis des Bildes, das sich nicht allein dem Sehen, sondern vor allem dem konkreten Tun des Künstlers verdankt. Diese Feststellung mag erstaunen, gehört Zolas Manet-Deutung doch zu den frühen Beispielen einer „formalistischen“ Kunstauffassung, die das motivische „Was“ zugunsten des „Wie“ relativiert – für Manet sei, so Zola, das Sujet ein blosser „Vorwand zum Malen“.