Warhols Disaster-Diptychen als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 519 KB)
Warhols Disaster-Diptychen: Das Dementi als Bildform
in: Der dementierte Gegenstand. Artefaktskepsis der russischen Avantgarde zwischen Abstraktion und Dinglichkeit, hrsg. von Anke Hennig und Georg Witte (Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband Nr. 71), Wien/München 2008, S. 475-507.
4. Das Dementi als Bildform
Warhols Investition in die Todesthematik war außergewöhnlich. Doch statt seine Gefühle in die Bilder zu übertragen, übertrug er es an den Betrachter, sich zu seinem (Nicht-)Verhältnis zum Tod ins Verhältnis zu setzen. In den Disaster-Diptychen begegnet diesem ein mehrfaches Dementi, das vom Bild in Form gesetzt und somit als Vorgang sichtbar gehalten wird. Die bedruckten Bildtafeln, um mit ihnen zu beginnen, dementieren die Abbildfunktion, und zwar durch die serielle Wiederholung, die von der Unmöglichkeit zeugt, das Bild des Todes fixieren zu können, sowie durch die Eigenart der Drucke, aus ihrem Abbildstatus auszubrechen und selbst das zu tun, was sie zeigen, beispielsweise selbst zu verunglücken. Die leeren Bildtafeln wiederum dementieren die Zeigefunktion des Bildes. Bei ihnen handelt es sich eigentlich gar nicht um Bilder, sondern lediglich um grundierte Leinwände, also um die materielle Vorstufe eines Bildes, das nicht zustande kam und nur durch die Rahmung den Charakter eines Quasi-Bildes annahm. Warhols Monochrome schwanken zwischen Anfang und Ende eines Bildes. Im Zusammenhang von Diptychen, deren andere Bildtafeln jeweils zwar gegenständlich sind, aber auf Pressefotografien basieren, erscheinen sie zugleich als Kommentare zur (Un-)Möglichkeit der Wirklichkeitsrepräsentation in der Malerei. Diesbezüglich reihen sie sich in die Geschichte von malerischen Dementis ein, die sich auf die eigene Gattung beziehen, angefangen mit Aleksandr Rodcenkos Reine Farbe Rot, reine Farbe Gelb, reine Farbe Blau von 1921 – einem künstlerischen Manifest, das gegen den Illusionismus der traditionellen Malerei gerichtet war und eine neue Bildwirklichkeit jenseits der Repräsentation begründen wollte. Auch Rodcenkos aus drei Einzeltafeln bestehendes Monochrom inszenierte sich als zugleich letztes und erstes Bild, allerdings in einer kulturrevolutionären Perspektive, die Warhol fremd war.
Näher lag, insbesondere für das amerikanische Publikum der 1960er Jahre, die Anspielung der blanks auf Barnett Newmans color field painting, nicht zuletzt wegen der jeweils stattlichen Formate, die das Studioformat von Rodcenkos Triptychon weit hinter sich ließen. Newman verankerte seine neuartige Bildform in der philosophischen Traditionslinie des Erhabenen und bestimmte die Wirkung seiner Bilder als Befreiung und Selbststärkung des Betrachtersubjekts. Zu erreichen versuchte er dies über die Farbe, die er großflächig, unmoduliert und untexturiert auftrug und die er im Bild als selbstbezügliches Quantum „erschaffen“ wollte. Newman betonte, seine Bilder seien weder Abstraktionen der Wirklichkeit noch Darstellungen reiner Ideen, sondern „Verkörperungen eines Gefühls“, das angesichts der Eigenrealität jedes einzelnen Bildes individuell zu erfahren sei.
Keine dieser Möglichkeitsbestimmungen monochromer Malerei trifft diejenige Warhols, was insbesondere an dem Umstand liegt, dass er das Monochrom nicht zum autonomen Bild erklärte, sondern ausschließlich als Komplement der fotografisch bedruckten und mit derselben Farbe grundierten Tafeln auftreten ließ. Zwar haben die blanks mit Rodcenkos Monochromen gemeinsam, die jeweiligen Bildflächen nur mit einer einzigen Farbe auszufüllen und auf diese Weise den Illusionismus des Bildes durch gänzliche Vermeidung eines Figur-Grund-Kontrastes aufzuheben – im Unterschied zu Newman, bei dem dieser Kontrast entweder durch die vertikalen Linien der sogenannten zips oder durch die Konstellation mehrerer Farbfelder ansatzweise fortbesteht. Doch während Rodcenko das Bild im Konkreten der drei Primärfarben zu verankern versuchte, sind Warhols blanks Bilder in Latenz: zugrunde gegangene oder noch nicht erschienene gegenständliche Bilder. Mit Newmans Farbfeldern wiederum haben Warhols leere Tafeln gemeinsam, „Verkörperungen eines Gefühls“ zu sein – was beide wiederum von Rodcenkos analytisch-kritischem Triptychon absetzt. Allerdings lässt sich kaum ein schärferer Gegensatz denken als derjenige zwischen der Farbmacht von Newmans Gemälden, deren Bildtitel, beispielsweise Day One oder Be, verdeutlichen, dass sie den Durchbruch zum Jetzt und zur Fülle des Seins ermöglichen sollen, und Warhols entleerten Flächen, deren Farbe nicht für sich selbst steht, sondern diejenige der angrenzenden Todesbilder ist und damit, so Alain Jouffroy, das „Verbrechen einer Absenz“ zeigten.
Das Dementi artikuliert sich also zunächst in den beiden einzelnen Bildtafeln der Diptychen, links durch die wuchernde, potenziell endlose Wiederholung desselben Motivs, welche die Möglichkeit des einen gelingenden Bildes negiert, rechts durch die gegenläufige Zurschaustellung des fehlenden Bildes. Die beiden Dementis sind zugleich wechselseitig aufeinander bezogen, indem das unablässige ‚Reden‘ der Siebdrucke durch das ‚Schweigen‘ der blanks beantwortet wird, und umgekehrt. Auf eine höchst theatralische Weise, welche die Theatralität der gezeigten Tode aufnimmt und steigert, inszenieren die riesigen, wandartigen Disaster-Diptychen die Unmöglichkeit, der Katastrophe des Todes zu einem angemessenen bildnerischen Ausdruck zu verhelfen. Weil kein Bild ihn zu erfassen vermag, wird es wiederholt, verschoben, verunstaltet (im Falle der Fotografien) oder verneint (im Falle der leeren Leinwände). Die psychische Dynamik, die sich darin abzeichnet, kann mit Worten Jacques Lacans umrissen werden:
„Wiederholen“, schreibt Lacan in den Vier Grundprinzipien der Psychoanalyse, „ist Wiederholen einer Enttäuschung, und zwar der Erfahrung als enttäuschende. Wiederholen steht im Zusammenhang mit einem Realen, das das Subjekt notwendig verfehlen muss, was sich aber gerade in diesem Verfehlen enthüllt.“
Warhol selbst widmet dem Tod in der ansonsten redseligen Philosophie des Andy Warhol gerade einmal zwei kurze Passagen. Deren zweite reiht lauter Negationen aneinander und wiederholt somit jenes Verfehlen des Realen, das die Bilder durchzieht, auf der Ebene der Sprache: „Ich glaube nicht daran, weil man dann nicht mehr da ist und gar nicht mehr mitbekommt, dass es passiert ist. Ich kann gar nichts zum Thema sagen, weil ich darauf nicht vorbereitet bin.“
Das Subjekt – so könnte man diese verschiedenen Ebenen aufeinander beziehen – kennt den Tod nicht, weil es für dessen Erkenntnis entweder zu früh oder zu spät kommt. Das Bild wiederum zeigt den Tod nicht, weil dieser eine strikt subjektive Erfahrung bleibt, die nicht nach außen, in die Sichtbarkeit, treten kann. Dass der Tod nie Teil des Bildes wird, sondern vielmehr jenen Riss bedeutet, der das Bild und den Referenten auseinanderreißt: das enthüllen Warhols Diptychen am (fotografischen) Bild.
Einleitung | |
1. Death in America | |
2. Von der Faktografie zur Faktur | |
3. Blanks | |
4. Das Dementi als Bildform | |
Warhols Disaster-Diptychen als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 519 KB) |