Warhols Disaster-Diptychen als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 519 KB)
Warhols Disaster-Diptychen: Das Dementi als Bildform
in: Der dementierte Gegenstand. Artefaktskepsis der russischen Avantgarde zwischen Abstraktion und Dinglichkeit, hrsg. von Anke Hennig und Georg Witte (Wiener Slawistischer Almanach, Sonderband Nr. 71), Wien/München 2008, S. 475-507.
2. Von der Faktografie zur Faktur
1949 erwarb Warhol am Carnegie Institute of Technology einen Bachelor of Fine Arts in Pictorial Design. Damit schloss er eine Ausbildung ab, die besonders auf kommerzielle Graphiker zugeschnitten war. Sie zielte weniger auf die direkte, unmittelbare Fertigung von Bildern in einem klassisch-künstlerischen Sinne, sondern in erster Linie auf die Verwendung bereits vorhandenen Materials für neue bildliche Zusammenhänge.
Das pictorial design der Todes-Serie umfasste jeweils zwei Arbeitsschritte. Vom ersten war bereits indirekt die Rede: der Auswahl von geeigneten, bestimmte Merkmale aufweisenden Pressefotografien. Der zweite Arbeitsschritt betrifft nun die technisch-ästhetische Umarbeitung der Vorlagen zum Siebdruck-Tafelbild.
Was zunächst den Aspekt des Reproduzierens betrifft, verschlechterte Warhol die Originalbilder in mehreren Verfahrensschritten. Das Fotolabor, das die Drucksiebe herstellte, wies er an, den Kontrast zu übersteuern und die Körnigkeit zu erhöhen. Beim Drucken der Siebe verminderte Warhol die Bildqualität erneut, indem er die Druckfarbe ungleich verteilte, das Sieb schlecht reinigte, die Bilder sich überlappen ließ oder am Rand abschnitt. Vor das Bild schob sich ein Filter aus Unschärfe, Detailarmut und schlampiger Ausführung, so als hätte Warhol die mehrfache Bedeutung des englischen Wortes screen wörtlich genommen, das nicht nur Drucksieb, sondern auch Filter, Maske und Tarnung meint.
Das serielle Drucken eines Motivs auf dieselbe Leinwand, m. E. Warhols bedeutsamste gestalterische Erfindung, verstärkte diese Bildmaskierung. Die Aufreihung bettet die Bilder in einen rein formalen Zusammenhang ein. Inhaltlich gesehen erzeugt die Aufreihung hingegen bloße Redundanz, also gerade keinen Zusammenhang. Das formale Verweben der Bilder steigert die Präsenz des Bildes als Oberfläche, während sie diejenige des Bildes als Abbild vermindert. Das kann so weit gehen wie in Suicide (Fallen Body), bei dem das Motiv im Flächenornament beinahe verschwindet. Zugleich aber fesselt diese Ornamentalisierung den Blick. Dies dürfte ein Grund sein, warum die Werbung serielle Wiederholungen häufig einsetzt. Das NONSTOP der Iteration, das dieses Werbebeispiel zur visuellen Metapher für die kontinuierliche Leistung der beworbenen Fluggesellschaft macht, verändert bei der disruptiven Qualität von Warhols Todesmotiven jedoch seine bildliche Semantik. Es wird zum stehenden Jetzt eines grauenhaften Ereignisses, dem die Rückkehr in den Zeitfluss verwehrt wird.
An Warhols technisch-ästhetischer Umsetzung der Fotografien in die Siebdruck-Tafeln lassen sich jeweils zwei gegenläufige Bewegungen beobachten. Zum einen droht eine schlampige, gleichgültige Produktionsweise den Gegenstand zum Verschwinden zu bringen. Zum anderen aber affiziert der Gegenstand den Druckprozess, indem das Faktum des Todes auf der Bildoberfläche, am Ort seines drohenden Verschwindens, wiederzukehren scheint. Das zeigt sich insbesondere an den signifikanten Störungen in der Bildfaktur. So ereignet sich das doppelte Sterben in Ambulance Disaster nicht nur auf der motivischen Ebene, sondern erneut im Augenblick des Druckvorgangs. Im unteren der beiden Drucke löscht eine tränenförmige Ausweißung das Gesicht der Toten aus, als werde es verhüllt oder – in einer aggressiveren Lesart – als sei es zum Gegenstand eines ikonoklastischen Aktes geworden. Technisch gesehen handelt es sich um eine jener Druckpannen, die Warhol durch seine Nachlässigkeit zwar provozierte, die sich in ihrer jeweiligen Form jedoch zufällig ergaben – in diesem Falle durch die ungleiche Verteilung der Farbe, als sie durch das Sieb gedrückt wurde. In seiner lakonischen Art nannte er sie „Vorfälle an der Oberfläche“, womit er bereits sprachlich eine Verbindung zwischen dem Motiv, jenem ‚Vorfall‘ auf den Straßen Chicagos, und dem Bildprozess zog. Die Druckpanne von Ambulance Disaster steht nicht allein. Tunafish Disaster handelt von zwei Frauen, die vermutlich durch eine Dose vergifteten Fisch gestorben sind. In Warhols Bild sind die lachenden Gesichter der Frauen und die Thunfischdose in einer Weise verätzt, als wirke das Gift auch hier. 5 Deaths wiederum zeigt eine besonders lapidare Variante eines solchen Bild-‚Vorfalls‘. Die beiden Drucke sind so nach unten gerutscht, dass der Bildrand genau denjenigen Bildteil abtrennt, der die im Wagen festklemmenden Unfallopfer zeigt.
Auch die serielle Wiederholung der Drucke erzielt den doppelten Effekt, die Sichtbarkeit des Motivs anzugreifen, aber gerade dadurch die gezeigte Katastrophe an der Bildoberfläche zu wiederholen. So beginnen sich in Green Car Crash die Bilder der mittleren Reihe übereinander zu schieben, um in der untersten Reihe in einer wüsten Kollision zu enden. White Disaster I schließlich zeigt eine gegenläufige Variante der Bildauslöschung. Hier folgen die Drucke regelmäßig aufeinander, dann aber stockt der Druckprozess, das letzte Bild fällt aus und hinterlässt wie in plötzlicher Aphasie ein Stück leere Leinwand.
Einleitung | |
1. Death in America | |
2. Von der Faktografie zur Faktur | |
3. Blanks | |
4. Das Dementi als Bildform | |
Warhols Disaster-Diptychen als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 519 KB) |