Relationale Ästhetik Lacan Blick Fleck

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Relationale Ästhetik. Über den ‚Fleck‘ bei Cézanne und Lacan

in: Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, hrsg. von Claudia Blümle und Anne von der Heiden, Zürich/Berlin 2005, S. 265-288.

Kapitel II: ‚Blick‘ und ‚Fleck‘

Berühren sich Cézannes Malerei und Lacans Bildtheorie im ‚Fleck‘, dann treffen sie sich in einem Element, das bei beiden eine entscheidende Rolle spielt. Lacans Verwendung des Begriffs ‚Fleck‘, um mit ihm zu beginnen, ist allerdings schillernd, da er ihn einmal metaphorisch (im Zusammenhang mit dem ‚Blick‘), einmal wörtlich (hinsichtlich Cézannes) versteht. Die unterschiedlichen Facetten, die auch die Anamorphose einschließen, überschneiden sich jedoch in dem, was man eine Bedeutung ohne Form nennen könnte.
Die Eigenart und die Wirkungsweise des ‚Blicks‘ steht in Beziehung zu dem, was Lacan als Signifikantenstruktur bezeichnet: jene Verkettung leerer, in sich bedeutungsloser Zeichen, die jedoch eine Ordnung etabliert, die wir als Wirklichkeit begreifen. Lacan verkehrt die saussuresche Hierarchie, die den Signifikanten dem Signifikat unterstellt, mit der Konsequenz, dass die Sprache nicht länger als Repräsentation, sondern als differenzielle Artikulation begriffen wird. Subjekt und Signifikant versteht Lacan zudem als unmittelbar aufeinander bezogen. Bedeutung erhält der Signifikant nämlich nicht nur aufgrund der Vernetzung mit den anderen Signifikanten, sondern auch dadurch, dass das Subjekt ihn – ganz wörtlich – für ‚bedeutend‘ hält. Diesem Bezug des Signifikanten auf das Subjekt entspricht umgekehrt eine Abhängigkeit, die Lacan mit der Formulierung zum Ausdruck bringt, das Subjekt sei ‚Subjekt des Signifikanten‘, also gewissermaßen dessen ‚Untertan‘. Deren Relation fasst Lacan in der Formel zusammen, der Signifikant repräsentiere das Subjekt, aber für einen anderen Signifikanten. Einerseits vertritt der Signifikant das Subjekt und schreibt es in die Signifikantenstruktur ein. Doch da dieser kein transzendentes Signifikat entspricht, sondern jede Bedeutung nur dem differenziellen Wechselspiel aller Signifikanten in deren grundsätzlich unvollständiger Verkettung entspringt, wird das Subjekt, auf der Suche nach dem Sinn und seinem Platz darin, auf eine nomadische Reise geschickt, in der es von einem Signifikant zum nächsten weiter verwiesen wird. (Sens bedeutet im Französischen zugleich ‚Sinn‘ und ‚Richtung‘.) In diesem Prozedieren gründet sich das Subjekt und partizipiert am Sinn der Welt. Dafür zahlt es allerdings mit seiner Spaltung, die Lacan auch Entfremdung nennt. Denn es ist jenes äußerliche und in seiner Ordnung weder vollständig zu durchschauende noch gar zu kontrollierende Feld der Signifikanten, auf dem das Subjekt sich auftauchen sieht. Nie wird es sich selbst als Ursache des Sinns erfahren können, niemals wird es jenen Nullpunkt des Seins bilden, als den Merleau-Ponty den Menschen begriff. Vielmehr nimmt es selbst den Charakter eines Zeichens (für andere Zeichen) an. Seine Existenz gewinnt es allein dann, wenn es das Spiel der Signifikanten mitspielt: wenn es spricht – oder malt.
In dem durch Wiederkehr und Wiedererkennen strukturierten Signifikantennetz erscheint nun aber ein Signifikant besonderer Art. Es ist ein überschießender, kontingenter Rest, der darunter fortläuft und deren Konsistenz aushöhlt, indem er ein diffuses ‚Mehr‘ oder ‚Dahinter‘ aufblitzen lässt: das ‚Objekt a‚ die Objekt-Ursache des Begehrens und zugleich das Symbol des Mangels in der Signifikantenstruktur und im Subjekt. Es ist dieses befremdlich Kontingente, welches das Subjekt am unmittelbarsten zu betreffen scheint und mit dem es sich am stärksten identifiziert. Paradoxerweise ist es erst dieser nicht integrierbare Rest, der die Wirkung der Signifikanten im Subjekt in Bewegung setzt – eine Bewegung, die demzufolge durch ein beständiges Pulsieren zwischen Schließung und Öffnung der Struktur gekennzeichnet ist.
Im Feld des Sichtbaren manifestiert sich das ‚Objekt a‚ als ‚Blick‘, durch den das Sehen an eine Grenze stößt. Etwas ebenso Lichthaftes und Blindes ‚blickt‘ zurück, das die Geschlossenheit des Sehfeldes stört und die imaginäre Selbstspiegelung des Subjekts im Gesehenen aufbricht. Antinomisch dem Auge entgegengesetzt, initiiert es eine Art Straucheln, in dem das Subjekt „zu Fall kommt“. Während es sich selbst entzieht, hinterlässt es im Sehfeld des Subjekts – genauer auf dessen ‚Schirm‘ (écran) -, gleichwohl eine Spur: ein Flimmern, Schillern oder, wie Lacan bevorzugt sagt, einen Fleck (tache). Indem jener Fleck mich anblickt und angeht (me regarde in seiner Doppelbedeutung), kehrt er zugleich, so Lacan, die geometrale Sehperspektive um. Er hat das Vermögen, mich zum ‚Bild‘ zu machen, genauer: zu einem Fleck im Bild.
Wenn das Subjekt am Sichtbaren hängt, dann also nicht allein wegen dem, was es dort sieht. Den intensivsten Bezug zwischen Subjekt und Sehfeld stiften die Stellen, wo es etwas nicht sieht. Dabei handelt es sich um eine strikte Negativität, „unbefriedigt, unmöglich, verkannt“ – um ein „Rendez-vous“, zu dem man stets gerufen ist und das man dennoch immer verpasst. Für unseren Zusammenhang bleibt festzuhalten: Was Lacan in seiner Analyse des Sichtbarkeitsfeldes als ‚Blick‘ beschreibt, ist an kein Material und keine Erscheinungsweise gebunden. Es ist somit auch nichts, worauf man in einem Gemälde zeigen könnte, da sich dessen ‚Blickhaftes‘ ausschließlich im Modus des Nicht-Sehens zeigt. Wenn Lacan dieses (ver)störende Moment von Alterität, das den Bildzusammenhang aufsprengt, als ‚Fleck‘ bezeichnet, um der Verwechslung mit einem tatsächlich blickenden Auge entgegen zu arbeiten, sollte folglich auch diese Metapher nicht buchstäblich verstanden werden.
Eine ganz andere Konsistenz erhält der ‚Fleck‘, wenn Lacan auf Cézannes ‚kleines Blau‘ und ‚kleines Braun‘ zu sprechen kommt. War am Fleck qua Blick der Aspekt radikaler Negativität herauszustreichen, haben wir es hier mit materiellen Flecken aus Tubenfarbe zu tun. Sie tauchen auch nicht im ‚extimen‘ Sehfeld des Subjekts auf, sondern verdanken sich der handfesten Geste des Malers, der sie auf die Leinwand setzte. Mit der Hinwendung zum Malakt vollzieht Lacan einen jener Seitenwechsel, die seinen Umgang mit dem Bild kennzeichnen. Er tauscht die Perspektive dessen, der etwas sehen will, gegen die Produktionsperspektive dessen, der etwas zu sehen gibt. Von der Relation dieser gegenläufigen Perspektiven sowie der unterschiedlichen Flecken, die dabei ins Spiel kommen, hängt nun aber ab, in welcher Beziehung das Bild der Malerei (tableau) zu den Bildern im Feld des Sehens (image und écran) steht. Es handelt sich um diejenige Beziehung, die Lacan in seinem berühmten Schema der sich durchdringenden Dreiecke in Form brachte. (Abb. 3)

Kapitel I: Zwei Formen des Relationalen
punkt Kapitel II: ‚Blick‘ und ‚Fleck‘
Andy Warhol - Pfeil Kapitel III: ‚Fleck‘ und Farbe
Kapitel IV: Die Geste des Malens
Kapitel V: Die Funktion des Gemäldes
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