Subjektivität und Medialität bei Cézanne als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 1.450 KB)
Subjektivität und Medialität bei Cézanne – mit Vorbemerkungen zu Dürer, Kersting und Manet
in: Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne, hrsg. von Michael Lüthy und Christoph Menke, Berlin 2006, S. 189-207.
Abschnitt IV
Als Cézanne auf einem Fragebogen anzugeben hatte, worin für ihn das „Ideal irdischen Glücks“ bestünde, notierte er: „Eine schöne Formel haben. “ Das Geheimnis seiner Malerei liegt nicht in einer verborgenen Bedeutung, sondern an der Oberfläche: in der Struktur. Sie hat die Eigenschaft, Bedeutung nicht aufgrund der Relation von Zeichen und Bezeichnetem zu erzeugen, sondern aufgrund der differentiellen Logik des Kontrastes. Ob ein Fleck eher eine Mauer oder aber ein blühendes Feld meint, kann erst im Zusammenhang mit den anderen Flecken vermutet werden, und auch dann noch unterliegt diese Zuschreibung beständiger Modifikation, die durch jede Identifizierung eines weiteren Flecks angestoßen werden kann. Wenn ‚Sehen‘ im Sinne der produktiven Einbildungskraft bedeutet, ‚etwas als etwas‘ zu sehen, dann dehnt Cézanne dieses ‚als‘ bis zu dem Punkt, wo es als Vorgang sichtbar wird. Worauf das Wiedererkennen des Motivs basiert, d.h. wo sich die Ähnlichkeit zum Dargestellten einstellt, darauf kann man im Bild nicht zeigen. Das Signifikat läßt sich von der signifikanten Struktur nicht ablösen, die ‚Realisierung‘ bleibt ein unabschließbarer Prozeß. Diese Ambivalenz von Bildaufbau und Bildzerfall zeigt sich auch aus der Perspektive der malerischen Praxis. Cézannes ‚réalisation‘, die Ich und Welt, innen und außen, Objekt und Empfindung, Ordnung der Malerei und Ordnung der Natur verschmelzen wollte, verwirklichte sich allein im flüchtigen Augenblick, in dem der Pinsel die Leinwand berührte – im Augenblick des Umschlags von Subjekt und Medium, der Medialisierung des Subjekts und der Subjektivierung des Mediums. Diese punktuelle, an den Augenblick der ‚Artikulation‘ gebundene Vermittlung ließ sich nicht in die Gewißheit einer ‚Aussage‘ oder eines ‚Inhalts‘ überführen, sondern nur als ein im Bild immer neu sich ereignendes Vermittlungsgeschehen realisieren. Wenn Cézannes Gemälde einen Effekt der Präsenz erzeugen, so handelt es sich folglich nicht um den epiphanischen Vorschein eines zugrundeliegenden ‚Seins‘, sondern um den Effekt eben jenes Pulsierens der Oberfläche, das der Stabilität des Bildes und des dargestellten Raums entgegenwirkt und ein irritierendes Moment von Unkontrollierbarkeit einführt. Die Bildpräsenz entspringt allerdings nicht allein diesem Pulsieren selbst. Sie verdankt sich ebenso sehr einer Möglichkeit, die nicht eine des Bildes ist, sondern vielmehr dessen Grenze anzeigt. Denn in jenem Pulsieren der Oberfläche schwingt zugleich die Gefahr mit, außer Kontrolle zu geraten und das fragile Gewebe des Bildes zu zerreißen. Im Prozeß der ‚réalisation‘ des Bildes zeigte sich diese Gefahr in der jederzeit bestehenden Möglichkeit eines ‚falschen Flecks‘: „Wenn ich zu hoch oder zu tief greife“, so sagte Cézanne nach den Erinnerungen Gasquets, „ist alles verpfuscht. Es darf keine einzige lockere Masche geben, kein Loch, durch das die Erregung, das Licht, die Wahrheit entschlüpft.“ Der ‚falsche Fleck‘ hätte nicht nur ein künstlerisches Mißlingen angezeigt. Als Loch im Gewebe hätte er zugleich jene „Harmonie parallel zur Natur“ zerstört, die Cézanne zu erreichen versuchte und die er wie einen Schleier zwischen sich und die Welt spannte – im kühnen Versuch, Selbst und Welt sich berühren zu lassen, indem er Subjektivität und Medialität der Kunst ineinanderführte.
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