Subjektivität und Medialität bei Cézanne als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 1.450 KB)
Subjektivität und Medialität bei Cézanne – mit Vorbemerkungen zu Dürer, Kersting und Manet
in: Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne, hrsg. von Michael Lüthy und Christoph Menke, Berlin 2006, S. 189-207.
Abschnitt I
Die Auffassung des künstlerischen Prozesses – was in ihm geschieht, worauf er zielt und worin sein Wert besteht – wandelte sich über die Jahrhunderte der westlichen Kunstgeschichte in erheblichem Maße. Einer der dramatischsten Umbrüche ereignete sich zu Beginn der Moderne im späten 18. Jahrhundert, als im Zuge der generellen geistigen und materiellen Umwälzungen auch die sozialen, kulturellen und metaphysischen Referenzrahmen der Kunst aufbrachen. Während die alten Bezugsgrößen schwanden – das Prinzip der Nachahmung, die rhetorische Gliederung der Gattungen und Darstellungsmodi, die Patronats- und Auftragsverhältnisse –, gingen die Künstler auf die Grundlagen ihres Tuns zurück. Zunehmend freigesetzt von ihren tradierten Aufgaben, begannen sie, sich selbst zu erforschen, indem sie ihre Selbst- und Weltwahrnehmung prüften, und über ihre Gestaltungsmedien zu reflektieren. Konkurrierend wurden in der Folge das Subjekt oder aber das Medium als jener letzte Grund vorgeschlagen, auf dem die Kunst basiere. In diesen unterschiedlichen Fundierungen wurde die Autonomie der Kunst jeweils anders ausgelegt. Im einen Fall verstand man sie als Freisetzung des Künstlers von unmittelbaren Vorgaben politischer, religiöser oder weltanschaulicher Art. Dieser stellte, so das neue Selbstverständnis, nicht (mehr) dar, was anderswo vorgegeben war oder wozu er veranlaßt wurde, sondern beanspruchte den Status als selbstbestimmtes Subjekt. Das Kunstwerk, als ‚Ausdruck‘ des Künstlers verstanden, nahm gewissermaßen dessen ‚Gestalt‘ an. Im anderen Fall gründete die Autonomie der Kunst auf der Eigengesetzlichkeit des Werks, dessen Sinnfälligkeit es nicht nur von den anderen wahrnehmbaren Dingen abhob, sondern auch von seinem Autor ablöste. Beide Fundierungen forderten ein je eigenes, neues Beurteilungsprinzip gegenüber den Erzeugnissen der Kunst. Die individuelle Sicht des Künstlers oder aber die Eigenlogik künstlerischer Form sollten nicht nur in ihrer jeweiligen Legitimität anerkannt, sondern zugleich als die eigentlichen Pointen künstlerischer Produktivität begriffen werden.
Die Hoffnungen, auf diese Weise eine solide (Neu-)Begründung der Kunst zu leisten, mußten zwangsläufig unerfüllt bleiben. Zwar beflügelte die Erwartung, der Rückgang auf die Eigenart und die Gesetze des künstlerischen Mediums entdecke der Kunst ein ‚objektives‘ Fundament, viele Künstler insbesondere der klassischen Moderne. Clement Greenbergs Theorie des Modernismus versuchte sogar zu zeigen, daß die Selbstbegründung der Kunst durch die ‚Essentialisierung‘ des jeweils verwendeten Mediums geleistet werden könne. Zugleich aber führte die Autonomisierung der Kunst nicht zuletzt dazu, daß die Künstler ihre Medien selbst wählen konnten, ja, wählen mußten, wodurch sich diese bereits subjektivierten. Viele Künstler der Moderne fanden ihre individuelle Handschrift gerade durch die Wahl eines Mediums, und sei es eines, das Handschriftlichkeit gerade negiert, wie beispielsweise das kubistische papier collé oder der Siebdruck, den Andy Warhol zu seiner ‚Signatur‘ zu machen wußte. Das Subjekt erwies sich als ebenso prekäre Basis der Kunst. Es kann sich nicht unmittelbar entäußern, so als stünde das Hervorgebrachte in unmittelbarer Verbindung mit dem Inneren des Künstlers, dessen Präsenz sich in ihm ausdrückt. Die künstlerische Expression ist vielmehr doppelt kodiert. Das Kunstwerk steht nicht direkt, sondern lediglich metaphorisch für das Selbst des Künstlers ein. Überdies muß es sich einer spezifischen Darstellungsform bedienen, die nie gänzlich subjektiv sein kann, da der Künstler sich nur durch Medien auszudrücken vermag, die ihm äußerlich bleiben: durch Farbe, Pinselstrich usw.
Am Grund der künstlerischen Tätigkeit stoßen wir folglich nicht auf Eines, auf ‚Substanz‘ oder ‚Sein‘, sondern auf einen Dual und den dazwischen sich abspielenden Prozeß: auf die dynamische Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Medium, die sich auf keine der beiden Seiten reduzieren läßt. Beides verbindet sich im künstlerischen Akt, der sich an der Nahtstelle von Medium und schreibendem bzw. sich schreibendem Subjekt bewegt. Das Medium wird subjektiviert und erscheint als anthropomorph besetztes anderes Selbst, das Subjekt hingegen erscheint als Medium, durch das hindurch etwas ‚spricht‘, das insbesondere in der Kunst nicht einfach mit dem (selbst-) bewußten Ich zu verrechnen ist. Subjekt und Medium erweisen sich als ambivalente Schauplätze, die in doppelter Funktion stehen. Sie sind der Ort des Aussagens, d.h. der Ort, an dem etwas ausgesagt wird, und zugleich die Sache der Aussage, mit anderen Worten der eigentliche Inhalt, den das Kunstwerk kommuniziert. Um es bewußt tautologisch zu formulieren: In der Moderne wird die künstlerische Praxis, als das Ineinandergreifen von Subjekt und Medium, zum Fundament künstlerischer Praxis.
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