Manet Pfeiffer Zola Velázquez Meninas Selbstportrait

Manets Reise zu Velázquez als Druckversion (PDF mit Abb. u. Fn. 2.281 KB)

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Manets Reise zu Velázquez und das Problem der kunstgeschichtlichen Genealogie

in: Umwege. Ästhetik und Poetik exzentrischer Reisen, hrsg. von Bernd Blaschke, Rainer Falk, Dirck Linck, Oliver Lubrich, Friederike Wißmann und Volker Woltersdorff, Bielefeld 2008, S. 119-158.

Kapitel V: Velázquez als ‚innere Figur‘, Teil 1

Die Zuversicht, die Manet nach eigenem Zeugnis in Madrid erfüllte, läßt sich den Bildern, die nach der Spanienreise entstanden, ablesen. In ihnen verstetigen sich die Sicherheit im Bildaufbau sowie der faszinierend komplexe, auf direkte Konfrontation angelegte Betrachterbezug, der bereits Gemälde wie Mlle V… oder Olympia bestimmte. Das unmittelbare Ergebnis des Zuspruchs, den er im Prado verspürte, war folglich die konsequente Fortsetzung des eingeschlagenen Weges über alle Anfechtungen hinweg. Zugleich versuchte er den Velázquez-Bezug seiner Malerei zu präzisieren und der Öffentlichkeit vorzuführen. Dem nächsten Salon 1866 reichte er Bilder ein, welche die Orientierung an Velázquez so deutlich zeigen wie kaum ein Werk zuvor, unter ihnen Le fifre. Darin verarbeitete er Erfahrungen, die er vor Velázquez‘ Porträt des Pablo de Valladolid machte, das ihm aufgrund der Eigenart, die Figur lediglich mit Luft zu umgeben, als das „vielleicht erstaunlichste Stück Malerei, das je gemacht worden“ sei, erschienen war. Wie schon hinsichtlich des Balcon bemerkt, orientierte sich Manet jedoch lediglich am bildnerischen Konzept des Vorbildes, um es unter Weglassung jeder spanischen Anmutung auf ein zeitgenössisches französisches Sujet zu übertragen, in diesem Falle auf einen jungen Pfeiffer der Garde Impériale. Bei der nächsten Gelegenheit, vor das Salonpublikum zu treten, kam Manet erneut auf den Bezug seiner Kunst zu derjenigen Velázquez‘ zurück. 1868 präsentierte er das Portrait d’Émile Zola, das im Graphiksteckrahmen in der rechten oberen Bildecke ein metamalerisches Manifest enthält. Es zeigt eine Reproduktion der Olympia und links davon den japanischen Farbholzschnitt eines Sumo-Ringers, den Manet auf der Weltausstellung ein Jahr zuvor gesehen hatte. Hinter Olympia steckt ein weiteres Blatt, aber nicht etwa Tizians Venere d’Urbino, an der sich Manet bei seinem Aktbild orientiert hatte, sondern ein Druck nach Velázquez‘ Los borrachos. Die Ersetzung Tizians durch Velázquez bestätigt nicht nur den Vorrang des letzteren, sondern gibt der poetologischen Selbstdeklaration zugleich jenen strukturellen, vom jeweiligen Sujet losgelösten Zug, den ich betonen möchte. Olympia, so scheint Manet zu formulieren, ist nicht nur die moderne Variante eines spezifischen Bildes, sondern bezieht sich in einem umfassenderen Sinne auf die klassische Malerei, die Tizian ebenso umfaßt wie Velázquez. Was Manet überdies an Los borrachos fasziniert haben dürfte, sind Eigenschaften, die Olympia, darüber hinaus aber Manets gesamtes Œuvre aufweist. Dazu gehört vor allem die Spannung, die sich zwischen einem frontalen, durch Blicke aus dem Bild akzentuierten Betrachterbezug und einer streng bildparallelen Komposition ergibt – eine Spannung, die an fast allen hier reproduzierten Gemälden Manets beobachtet werden kann. Auch Los borrachos entfaltet sich in einem Bildraum, dessen Plastizität nicht in die Bildtiefe, sondern vielmehr nach vorne, in Richtung des Betrachters, projiziert erscheint. Der Farbholzschnitt eines Sumo-Kämpfers wiederum verweist auf Velázquez‘ Pablo de Valladolid zurück, den Manet im Prado als so außergewöhnliches Gemälde empfand. Bei allen Unterschieden haben die beiden Bilder gemeinsam, eine Ganzfigur in Dreiviertelwendung vor einem monochromen, untiefen Grund zu präsentieren. Mit diesem Steckrahmen, der auf den ersten Blick Heterogenes zusammenstellt, führte Manet dem Salonpublikum ein bildnerisches Denken vor, das die eigene Malerei in einem kunsthistorischen und bildkonzeptuellen Zusammenhang präzise zu verorten wußte.

Parallel zu diesen für die öffentliche Schaustellung gemalten Arbeiten brachte die Identifikation mit Velázquez private Bilder hervor, die das Begehren bezeugen, sich in dessen Person und Werk buchstäblich hineinzumalen. War hinsichtlich des Déjeuner dans l’atelier davon die Rede, es zeige „die unmögliche Beziehung des Vaters zum Sohn“, wäre im Blick auf diese kleinen Gemälde davon zu sprechen, sie handelten von der unmöglichen Beziehung des Schülers zu jenem Meister, der 150 Jahre vor Manets Geburt starb. In phantasmagorischer Weise umkreisen sie die Figur und das Atelier des Velázquez, so wie sie Las meninas darstellt. Zugleich fließen Elemente ein, die sich Manets Beschäftigung mit einem weiteren Bild verdanken, das damals Velázquez zugeschrieben wurde und das Manet im Louvre kopierte: Les petits cavaliers. Wie Las meninas schien auch dieses kleine Werk ein Selbstporträt zu enthalten, da man in der Figur am linken Bildrand das Selbstbildnis des spanischen Malers erkennen wollte. Trotz der ansonsten großen Differenzen zwischen den beiden Bildern treffen sie sich in einem Merkmal, das Manet interessiert haben dürfte. Beide zeigen den Künstler inmitten einer Gesellschaft, in der er als ihresgleichen erscheint, gesellig und sozial integriert. Elemente der beiden Bilder arrangierte er neu, woraus zwei kleine Gemälde resultierten. Wahrscheinlich gehörten sie einmal zu einer größeren Darstellung von Velázquez‘ Atelier, bevor Manet die Leinwand in Fragmente zerschnitt.

Auf dem einen Fragment sehen wir drei der ‚kleinen Kavaliere‘ – teilweise seitenverkehrt wiedergegeben -, die mit der geöffneten Türe aus dem Hintergrund der Meninas kombiniert wurden. Einer von ihnen scheint auf den kleinen Jungen im Vordergrund zu deuten. Es ist Léon Leenhoff, den Manet als neues, nicht von Velázquez stammendes Element einfügte. Er trägt ein Tablett mit einer Karaffe, möglicherweise um sie Velázquez zu bringen. Der Einschluß Léons schlägt die Brücke zu den ‚Familien‘-Bildern wie dem Déjeuner dans l’atelier, in denen Léon mehrfach auftritt; und tatsächlich nahm Manet in Le balcon, wie bereits erwähnt, die Figur des tabletttragenden Jungen wieder auf.

Im anderen Fragment erscheinen erneut zwei jener ‚Kavaliere‘, die hier nicht Léon, sondern Velázquez zugewandt sind. Dieser hat die Arbeit unterbrochen, um noch ausdrücklicher als Léon aus dem Bild zu schauen – zum Betrachter, aber auch zu Manet, den wir uns an genau dem Bild malend vorstellen müssen, das wir sehen. Velázquez seinerseits arbeitet am Gemälde der Petits cavaliers, das Manet kopierte und das die beiden Atelierzuschauer enthält. Die Bild- und Realitätsebenen verschwimmen, zugleich überblenden sich Manets und Velázquez‘ malerisches Tun. Das Ergebnis ist ein Gemälde, das zugleich ein Manet und ein Velázquez zu sein scheint und folglich Verehrung und Rivalität gleichermaßen bezeugt.

Eine andere Variante dieser Überblendung zeigt die um 1873/76 entstandene aquarellierte Zeichnung Visiteurs dans l’atelier, in welcher Manet Las meninas mit einer Selbstdarstellung im eigenen Atelier verschmolz. Das Indiz dafür sind die eigenen Bilder, die Manet in seiner Zeichnung an der Stelle der Rubens- und Jordaens-Kopien im Hintergrund der Meninas plazierte. Analog zur Einfügung Léons in die Phantasmagorie von Velázquez‘ Atelier, von der gerade die Rede war, kamen auf diese Weise erneut Familienmitglieder ins Spiel, da das linke der Bilder Manets Frau und einen seiner Brüder, das rechte hingegen seine Frau und seine Mutter zeigen dürften. Wer aber ist nun der Maler mit dem seltsam zweigeteilten Gesicht – Manet oder Velázquez? Welche Identität haben die Männer, die anstelle der Infantin und ihres Gefolges ins Atelier getreten sind? Sind es erneut jene spanischen Kavaliere, oder vielmehr die Besucher von Manets Atelierschau, die er 1876 veranstaltete, nachdem seine Einsendungen zum Salon abgelehnt worden waren? In den Visiteurs dans l’atelier, das die Identitäten übereinander legte, rückte die Nachahmung von Velázquez in die Nähe der Verkörperung.

Den Abschluß dieser identifikatorischen Auseinandersetzung mit ‚maître Velázquez‘ bildete das 1879 gemalte Autoportrait à la palette, bei dem Manet die Pose einnahm, in der sich dieser in den Meninas zeigte. Wie bereits die Zeichnung der Visiteurs dans l’atelier läßt auch das Autoportrait offen, ob man eher von ‚Manet als Velázquez‘ oder aber von ‚Velázquez als Manet‘ sprechen sollte. Im Selbstporträt, das sich ganz auf die eigene Figur beschränkt, erzeugte Manet diese Ambivalenz durch den Doppelzug, einerseits die Haltung des Anderen einzunehmen und andererseits durch die spiegelbildliche Darstellung der eigenen Figur offenbar zu machen, daß es sich um ein – mithilfe eines Spiegels gemaltes – Bildnis seiner selbst handelte. Auf diese Weise aber malte Manet weniger sich selbst als vielmehr das Spiegelbild, das er sah. Dadurch wird unentscheidbar, ob wir Manet dabei beobachten, wie er Velázquez spielt, oder an Manets Blick teilhaben, der in den Spiegel schaute und dort Velázquez erblickte.

Einleitung
Kapitel I: Spanien in Paris
Kapitel II: Der Zögling Goyas
Kapitel III: Maître Velázquez
Kapitel IV: Legitimität, Vaterschaft und Tradition, Teil 1
Kapitel IV: Legitimität, Vaterschaft und Tradition, Teil 2
Punkt Manet Velazquez Kapitel V: Velázquez als ‚innere Figur‘, Teil 1
Manet Velazquez Kapitel V: Velázquez als ‚innere Figur‘, Teil 2
Kapitel VI: Tradition und/oder Modernität
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