Kunst Selbstreflexion Subjekt Medium

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Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne. Delacroix – Fontana – Nauman

in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 46/2, 2001, S. 227-254.

„Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung.“ (Novalis)

Kapitel I: Einleitung

Wenn kulturelle oder soziale Referenzrahmen aufbrechen, orientiert sich die Aufmerksamkeit um. Im Laufe des 18. Jahrhunderts beginnen die Künstler, auf die Grundlagen ihres Tuns zurückzugehen. Sie erforschen sich selbst, indem sie ihre Selbst- und Weltwahrnehmung prüfen, und versuchen, sich über ihr Gestaltungsmedium Rechenschaft zu geben. Die Selbstbezüglichkeit des Künstlers und die Selbstbezüglichkeit des Mediums werden nun, da die alten Bezugsgrößen – das Prinizip der Nachahmung, die rhetorische Fundierung, die Auftragssituationen usw. – schwinden, zu den neuen Fundamenten künstlerischer Praxis. Ob sie tragen oder sich diese letzten Gründe nicht doch als grundlos erweisen, ist dabei die offene Frage, welche die Reflexion erst in Gang bringt. So beflügelte die Erwartung, der Rückgang auf Eigenart und Gesetze des künstlerischen Mediums lasse ein sicheres Fundament der Kunst entdecken, viele Künstler insbesondere der klassischen Moderne, und Greenbergs Theorie des ‚Modernismus‘ versuchte zu zeigen, wie die künstlerische Selbstvergewisserung durch die ‚Essentialisierung‘ des jeweils verwendeten Mediums geleistet werden könne. Doch diese Hoffnung muß zwiespältig bleiben. Sich des eigenen Tuns und seiner Selbst im verwendeten Medium zu vergewissern, schließt bereits die Entfremdung an ein Äußeres ein. Das Subjekt, als der andere Pol moderner künstlerischer Selbstreflexion, erweist sich als ebenso prekäre Basis. Es kann sich nicht unmittelbar entäußern, so als hätte das Hervorgebrachte keine andere Verbindung als mit dem Inneren des Künstlers, dessen Präsenz sich in ihm ausdrückt. Die künstlerische Expression ist vielmehr in zweifacher Weise kodiert, erstens, weil das Kunstwerk nicht direkt, sondern lediglich metaphorisch für das Selbst des Künstlers einsteht, und zweitens, weil sie sich einer spezifischen Darstellungsform bedient. Der Künstler kann sich nur ausdrücken, weil er über eine ‚Sprache‘ verfügt, die das ermöglicht – eine Sprache, die er nicht selbst erfindet, sondern die von ‚außen‘ kommt. Die Übersetzung innerer Erfahrung in diese Sprache geht jeder Expression voraus, so daß zwischen Selbst und Ausdruck eine rhetorische Figur interveniert: das jeweilige Ausdrucksmedium. Wer sein Inneres mitteilen will, muß es ‚übersetzen‘ – um den Preis der Unmittelbarkeit.

Aufgrund dieser gegenseitigen Verweisstruktur, welche die Frage nach der Usprünglichkeit von Subjekt und Medium ins Leere laufen läßt, erscheint es auch verfehlt, beide Pole gegeneinander auszuspielen, wie es insbesondere in Körper- und Medientheorien geschieht, die den Körper als Sitz des authentischen‘ unmittelbaren Selbst gegen die ‚uneigentlichen‘ Medien auszuspielen versuchen. Der Körper, den der Künstler für seine künstlerische Praxis notwendig braucht, ist keineswegs der Ort der Unmittelbarkeit, sondern bereits selbst ein Medium, das ihm zum Ausdruck ‚dient‘. So ist es keineswegs bloß paradoxal, daß ‚Körper‘ und ‚Medium‘ zur selben Zeit, nämlich in den 1960er Jahren, sowohl in der Theorie wie in der Kunst zu zentralen Konzepten werden. Denn es war gerade die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen Medien und Wirklichkeit, welche durch die Revolution technischer Medien ausgelöst wurde, die auch zur Aufwertung des Körpers beitrug – der nun aber nicht nur als Ort ‚realer Gegenwart‘ heraustrat, sondern zugleich als das paradigmatische Medium, als das er seit der Antike galt. Umgekehrt hatte die künstlerische und theoretische Erkundung des Körpers als ‚Performer‘ des Selbst und ‚Konstrukteur‘ der Welt zur Folge, daß jede Wirklichkeit, selbst die des Subjekts, als medial konstruierte und vermittelte erkennbar wurde. Diese Überkreuzung wird sich besonders beim dritten der hier diskutierten Künstler, Bruce Nauman, zeigen, der in seinen Arbeiten der 60er Jahre sowohl den Körper wie die Videotechnik als ’neue Medien‘ entdeckt und sie zwecks gegenseitiger Exploration miteinander konfrontiert.

Die Dynamik moderner künstlerischer Selbstreflexion kann daher nur verständlich werden, wenn die Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Medium vorausgesetzt wird. Beide werden im folgenden als Größen verstanden, die in einem bald metonymischen, bald metaphorischen Verhältnis füreinander einstehen. Sie verbinden sich im ‚Akt‘, dem das Kunstwerk seine Entstehung verdankt – einem Akt, der analog zum literaturwissenschaftlichen Konzept des ‚Schreibens‘, der ‚écriture‘, begriffen werden kann, das heißt als eine Form der Hervorbringung, die ihre Pointe darin besitzt, sich an der Nahtstelle von Medium und ’schreibendem‘ bzw. ’sich schreibendem‘ Subjekt anzusiedeln. Hierbei wird das Medium subjektiviert und erscheint als personalisierter, anthropomorph besetzter Ersatz des Selbst, während umgekehrt das Subjekt als Medium erscheint, durch das hindurch etwas ’spricht‘, das nicht einfach mit dem wachen Ich zu verrechnen ist, sondern vielmehr als Freisetzung von Kräften erscheint, die dem Bewußtsein vorausgehen. Subjekt und Medium erweisen sich als ambivalente Schauplätze, die in doppelter Funktion stehen. Sie sind der Ort des Aussagens, d.h. der Ort, wo etwas ausgesagt wird, wie zugleich die Sache der Aussage, d.h. der eigentliche Inhalt, den das Kunstwerk kommuniziert.

Drei Beispiele der gegenseitigen Überschreibung von Subjekt und Medium sollen hier zur Sprache kommen. Sie sind absichtlich heterogen gewählt, da es weniger darum gehen soll, eine Geschichte der Selbstreflexion zu skizzieren, sondern vielmehr, ein Feld zu umreißen. Die Metapher des Feldes impliziert den Raum, welcher der Kunst sich hier eröffnet, und andererseits die Grenzen, die diesem Raum gesetzt sind. Denn was hier thematisiert wird, beansprucht keineswegs, den Schlüssel zum Verständnis moderner Kunstpraxis überhaupt zu bieten, sondern versucht allein, einen bestimmten Aspekt derselben herauszustellen. Von den vielen künstlerischen Positionen, die sich unter einer solchen Perspektive zur Betrachtung anbieten, fiel die Wahl auf Eugène Delacroix, Lucio Fontana und Bruce Nauman. Sie erlauben es, drei sehr unterschiedliche Formen der künstlerischen Praxis und des Medieneinsatzes zu untersuchen. Geht es bei Delacroix um die Materialität der Farbe und den Akt des Malens – hier analysiert anhand des Journal und nicht der Gemälde -, so bei Fontana um die Leinwandfläche und ihre Zerschneidung, und schließlich bei Nauman um die Verwicklungen von Körper, Raum und Video. Eine historische Dimension eröffnet sich ansatzweise gleichwohl. Während Delacroix‘ Reflexionen als Zeugnis des Übergangs zwischen klassischer und moderner Malerei gelten können, erscheint Fontana als Beispiel ‚modernistischer‘, die Grundelemente des Bildes thematisierender Kunst, und Nauman als Vertreter einer nachmodernen, neue Medien einsetzenden Künstlergeneration. Indem die drei Positionen miteinander konfrontiert werden, wird es möglich, eine Thematik herauszuarbeiten, welche die Unterschiedlichkeit von Vorgehen, historischer Stellung und eingesetzten Medien übergreift.

Punkt Kapitel I: Einleitung
Punkt Kapitel II: Eugène Delacroix
Kapitel III: Lucio Fontana
Kapitel IV: Bruce Nauman
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