Selbstbild oder Weltbild? Zur Ähnlichkeit zwischen Claude Monet und Clyfford Still
in: Monet … bis zum digitalen Impressionismus, Katalog Fondation Beyeler, München/New York 2002, S. 180-189.
Abschnitt IV
Es wäre nun aber verfehlt, die unterschiedlichen Lesarten von Monets und Stills „Abstraktheit“ als richtig oder falsch ausweisen zu wollen. Vereinseitigende Konstruktionen sind beide: sowohl Stills Produktionsperspektive, die seine Grossformate als mit Monet letztlich unvergleichbar erweist, wie auch Greenbergs Rezeptionsperspektive, die zwischen beiden die augenöffnende Ähnlichkeit entdeckt, die für das Verständnis und die Akzeptanz beider so entscheidend war. Dass sowohl die „existentialistisch-expressive“ wie die „formalistische“ Deutung des Abstrakten Expressionismus bis heute nebeneinander bestehen, deutet vielmehr darauf hin, dass nicht nur paradoxerweise beide „wahr“ sind, sondern dass sie womöglich einen Konvergenzpunkt besitzen.
Ein Indiz dafür ist der erstaunliche Effekt, dass Stills „Hier bin ich“ in ein Bild mündet, das in seiner wandartigen Ausbreitung eher als Darstellung der äusseren Natur erscheint und je nachdem als Klippen, Felswände oder weite Ebenen lesbar wird, während Monets „Zeugnis“ dessen, „was die Welt mir gezeigt hat“, zugleich zur Metapher eines inneren Fliessens, eines „Bewusstseinsstroms“, wird. Indem beide Maler – wenn auch auf unterschiedlichem Wege – die Differenz von Figur und Grund abbauen und die ganze Bildfläche zum dicht bedeckten, horizontlosen Farbfeld werden lassen, bauen sie zugleich die Differenz von Innen und Aussen, Subjekt und Welt, Geist und Materie ab. Inneres und Äusseres schlagen ineinander um, Monets aussengeleitete Natur-Malerei erscheint zugleich als Instrument inneren Begreifens, während Stills Innenschau ein unpersönliches Aussen erzeugt. Diese Ambivalenz der entstehenden Bildfläche liegt an der beschriebenen Notwendigkeit, Erfahrung ins Medium der Malerei zu übersetzen, wenn sie zum Bild werden soll. Im Augenblick der Übersetzung – im Akt des Malens – wird die innere Erfahrung entäussert und die äussere Erfahrung als „subjektiver“ Ausdruck neu geschaffen.
Dass Monets und Stills Malerei nur unterschiedliche Formen seien, dasselbe zu sagen, wäre so falsch wie zu behaupten, es sei gleichgültig, ob die Berührung von Subjekt und Welt „impressionistisch“ oder „expressionistisch“ begriffen werde, das heisst ob die künstlerische Produktivität vom Ich oder von der Welt aus ansetze. Doch die eigentliche Pointe der Ähnlichkeit zwischen Still und Monet liegt darin, die Flächen ihrer Bilder als „Medium“ zu erkennen, wo beides sich berührt – so als stünde das Bild, einer Membran gleich, zwischen Subjekt und Welt und werde von beiden Seiten her „beleuchtet“.
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