Arthur Danto Ende der Kunst Kunstphilosophie Geschichte der Kunst

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Das Ende wovon? Kunsthistorische Anmerkungen zu Dantos These vom Ende der Kunst

in: Kunst. Fortschritt. Geschichte, hrsg. von Christoph Menke und Juliane Rebentisch, Berlin 2006, S. 57-66.

„Wenn die Philosophie der Kunst die größten Schwierigkeiten hat, die Geschichte der Kunst, das heißt einen gewissen Begriff von Historizität der Kunst zu beherrschen, ist dem paradoxerweise so, weil sie die Kunst zu leicht als historisch denkt.“ (Jacques Derrida)

Aus kunsthistorischer Sicht möchte ich zwei für Dantos Argumentation wesentliche Bausteine betrachten, zum einen die Darstellung der Geschichte der Kunst, zum anderen die Deutung von Warhols Brillo-Box, die bekanntlich den archimedischen Punkt von Dantos Kunstphilosophie bildet. Damit bezieht sich dieser Kommentar allerdings weniger auf Gerard Vilar, dessen Verneinung seiner Schlußfrage, ob wir Dantos These vom Kunstende wirklich brauchen, auch meinen Text grundiert, sondern vielmehr auf Danto selbst.

Kapitel I: Zur Geschichte der Kunst

Danto rechnet es zu seinen Verdiensten, in seiner Kunstphilosophie zwei gegenläufige Anliegen verbunden zu haben: eine Bestimmung des Wesens der Kunst, die den Anspruch auf überzeitliche Gültigkeit erfüllt, und zugleich eine Deutung der Kunstgeschichte. Tatsächlich verknüpft die These vom Ende der Kunst beides unmittelbar. Denn Danto zufolge enthüllt sich das Wesen der Kunst erst im Augenblick jener Erfüllung, die sie am Ende ihrer Geschichte erreicht. Zugleich setzt die These, die Kunst sei zu Ende, die Vorstellung einer kohärenten Geschichte voraus. Nur wenn diese einen linearen und damit nacherzählbaren Ablauf aufweist, kann sie auch zu Ende gehen. Gerade weil die Geschichte in Dantos Argumentation eine entscheidende Rolle spielt und gerade weil er beharrlich darauf hinweist, ein Kunstwerk müsse im Lichte seiner Entstehungszeit betrachtet werden, da nicht alles zu allen Zeiten möglich sei, fällt nun aber auf, wie sehr er die Geschichte der Kunst zu einer Karikatur verkürzt. Er beschreibt sie als Fortschrittsgeschichte mit zwei klar voneinander getrennten Phasen. In der ersten Phase, die vom Beginn der Renaissance bis zum Ende des Impressionismus dauert, waren die Künstler gemäß Danto damit befaßt, „die Welt so darzustellen, wie diese sich selbst zeigte, wobei sie Menschen, Landschaften und historische Ereignisse genau so darstellten, wie diese sich dem Auge präsentierten“. Die Kunstgeschichte zeige sich, so Danto, als „interne Entwicklung auf eine adäquate mimetische Repräsentation“, geprägt durch eine „zunehmende Geschicklichkeit in der Darstellung visueller Erscheinungsbilder“. Dies ist mehr oder weniger alles, was Danto zum Verlauf der sechs Jahrhunderte Kunstproduktion zwischen Giotto und Monet sagt. Die zweite Phase dauert vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zum April 1964, als Warhol die Brillo-Boxen ausstellt. Auch diese Phase hat ein Telos – oder vielmehr zwei. Auf der einen Seite schließt sich Danto Clement Greenbergs formalistischer Deutung des Modernismus an, die in der Kunst seit Manet eine zunehmende Essentialisierung der einzelnen Künste erkannte; eine Essentialisierung, welche sich nach Greenberg dadurch verwirklichte, daß die spezifischen Eigenarten des jeweiligen Mediums in den Mittelpunkt rückten. Andererseits erkennt Danto in der Moderne das „Zeitalter der Manifeste“, in der sich die Kunst auf ein immer vollständigeres Bewußtsein ihrer Eigenart zubewegt. Danto verknüpft folglich auf eine nicht leicht nachvollziehbare Weise den Formalismus Greenbergs, der nie von der Essenz der Kunst, sondern allein von der Essenz einzelner Künste wie der Malerei oder der Skulptur spricht, mit dem hegelianischen Projekt eines wachsenden begrifflichen Selbstbewußtseins der Kunst als solcher. Wie wenig plausibel diese Verknüpfung ist, erweist sich am Zielpunkt von Dantos Kunstgeschichte, der Brillo-Box. Mag sich diese – zumindest in Dantos Perspektive – für eine Begriffsbestimmung der Kunst eignen, kann sie keinesfalls als Zielpunkt von Greenbergs Modernismus-Deutung angesehen werden. Vielmehr überschreitet sie dessen Entwicklungsmodell bereits dadurch, daß sie als Kunstobjekt, das Malerei und Skulptur verbindet, aus Greenbergs Künste- bzw. Medien-Essentialismus ausschert. Wie sich bei Danto das Kunstende vollzieht, ist hinreichend bekannt: Indem der Unterschied zwischen der Brillo-Box und ihrem nicht-künstlerischen Gegenpart im Supermarkt visuell nicht festzustellen sei, finde nicht nur die Mimesis-Theorie der Neuzeit ein Ende, sondern auch die Frage der modernen Kunst nach ihrem Begriff, da diese nun in ihrer reinsten Form gestellt sei. So verkörpert Warhols Box in Dantos Narrativ der Kunstgeschichte den letzten, zutiefst ambivalenten Fortschritt der Kunst, der jeden weiteren Fortschritt verunmöglicht und die paradoxe Situation entstehen läßt, in der die Freiheit, daß alles Kunst sein darf, mit der Unfreiheit, daß kein Wandel mehr stattfinden kann, zusammenfällt.
Diese Auffassung der Kunstgeschichte wird deren Verlauf weder in der Neuzeit noch in der Moderne gerecht. Aus kunsthistorischer Sicht wäre dagegen so vieles vorzubringen, daß es den Rahmen dieses Kommentars sprengte, damit anzufangen. Ich möchte allein grundsätzlich fragen, welches Gewicht der These vom Kunst(geschichts)ende zukommt, wenn die Beschreibung ebendieser Geschichte so wenig überzeugend ausfällt. Danto macht in seiner Gegenwart eine Erfahrung, die aus vielen Zustandsbeschreibungen der Moderne und sogar der Vormoderne bekannt ist. Die Zeitzeugen gewinnen den Eindruck, im Gegensatz zu früheren Epochen gäbe es in der gegenwärtigen Kunst kein ordnendes Regulativ und kein ästhetisches Kriterium mehr, und zwischen dem, was als Kunst gelte, und dem, was keine Kunst sei, könne nicht mehr unterschieden werden. Doch im Rückblick deuten solche Erfahrungen jeweils nicht auf ein Ende der Kunst hin, sondern führen lediglich zu einer Neukonzeption ihres Geschichtsverlaufs und ihres Begriffs. So geschah es auch im Falle von Greenbergs Entwicklungsmodell, das in den 1960er Jahren einer kritischen Revision unterzogen wurde, nicht nur, weil sich bei ihm die neu entstehenden Kunstformen nicht integrieren ließen, sondern weil im selben Zuge unübersehbar wurde, wie ausschnitthaft und verkürzend seine Vorstellung der künstlerischen Moderne war. Im Falle Dantos müßte die Revision vor allem der Auffassung gelten, die Geschichte der Kunst sei bis 1964 eine Fortschrittsgeschichte gewesen, und weiterhin der Auffassung, die künstlerische Moderne habe in ihrem ganzen Spektrum von Manet bis Warhol, von Brancusi bis Beuys, von Duchamp bis Johns, von Dali bis Pollock der philosophischen Suche nach dem Begriff der Kunst gegolten. Was in den 1960er Jahren in eine Krise geriet und an ein Ende kam, war weniger die Kunst als vielmehr eine bestimmte Möglichkeit, deren Geschichte zu entwerfen. Auch für Danto hätte die Gegenwart, die sich dem hergebrachten Narrativ nicht fügte, Anlaß sein können, die Geschichte der Kunst komplexer zu beschreiben, und dieses komplexere Bild der Geschichte hätte ihm wiederum dabei helfen können, in der eigenen Zeit nicht nur jene nach-geschichtliche kriterienlose Beliebigkeit zu erkennen, die er der post-warholschen Kunst zuschreibt, sondern darin auch Kriterien der Ordnung zu entdecken. In Dantos Verkündigung des Endes der Kunst scheint mir der Fehlschluß vorzuliegen, das Narrativ – jene bestimmte Art, die Geschichte der Kunst zu erzählen – für die erzählte Sache – die Kunst selbst – zu halten.

Punkt Arthur Danto Kapitel I: Zur Geschichte der Kunst
Arthur Danto Pfeil Kapitel II: Zur Interpretation der Brillo-Box
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