Andy Warhol Siebdruck Porträt Disaster

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Die scheinbare Wiederkehr der Repräsentation. Ambivalenzstrukturen in Warhols frühem Werk

in: Andy Warhol. Paintings 1960-1986, hrsg. von Martin Schwander, Katalog Kunstmuseum Luzern 1995, Stuttgart 1995, S. 31-42 u. 74-76.

Abschnitt III

Betrachtet man die Bilder aus dem Blickwinkel der Filme, treten an ihnen ähnliche Eigenschaften hervor. Auch bei ihnen ist der „Code“ des Mediums („die Malerei“) mehrfach durchbrochen und die Werke in eine Dialektik eingespannt, die sich weder aufheben noch auf eine Seite hin auflösen läßt. Aus der umfangreichen Produktion sei zunächst ein Beispiel herausgegriffen, das formal wie inhaltlich den Filmen besonders nahe steht: Ethel Scull Thirty-six Times, 1963 (Abb. 5). Das Bild ist Warhols erstes Auftragsportrait und stammt aus demselben Jahr, in dem auch die ersten Filme entstehen. Es besteht aus 36 Tafeln gleichen Formats, die zusammen die beträchtlichen Abmessungen von 202 x 363 cm ergeben. Die Tafeln sind verschiedenfarbig grundiert und zeigen Ethel Scull, die Gattin eines New Yorker Taxiunternehmers und Sammlers zeitgenössischer Kunst, in jeweils unterschiedlicher Pose. Das Bild erweckt den Eindruck, aus Einzelbildern eines filmischen Portraits montiert zu sein, wie Warhol sie nicht nur mit Henry Geldzahler, Eat oder Sleep realisierte (die alle auch Portraits sind), sondern wie er sie, als sogenannte „Screen Tests“, von jedem neuen Besucher der Factory zu drehen pflegte. Lautete bei diesen letzteren die stereotype Anweisung, während der Dauer der Aufnahme (drei Minuten: die Länge einer Filmspule) möglichst starr und ohne zu blinzeln in die frontal aufgestellte Kamera zu blicken, fährt Warhol Ethel Scull zum Times Square, setzt sie in einen Photoautomaten, wirft Geld ein und sagt: „Now start smiling and talking.“ Nach anfänglicher Konsternation (sie hatte eine aufwendige Photo-Sitzung erwartet und sich dafür in ein teures Modellkleid gehüllt) kommt Ethel Scull dieser Aufforderung geradezu überschwenglich nach. Auf den über hundert Bildern, die nun entstehen, lacht sie, fährt sich durchs Haar, scheint in Nachdenken versunken, setzt ihre Sonnenbrille auf und wieder ab – ganz so, als würde sie sich in angeregter Unterhaltung befinden. Provoziert Warhol beim bewegten Medium des Films die Rückführung auf das quasi-fixe Bild, so umgekehrt beim statischen Medium der Photographie die Ausweitung zum quasi-dramatischen Geschehen.

Doch ähnlich wie in Eat oder Sleep wird die chronologische Abfolge der Automatenbilder in der Anordnung zum Gesamtbild wiederum durchbrochen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, daß Warhol für die 36 Tafeln nur 25 Aufnahmen verwendet hat. Elf Tafeln stellen also (teilweise seitenverkehrte) Wiederholungen dar, die ohne erkennbare Regel eingestreut sind. Ebenfalls gibt es nur 25 unterschiedliche Grundierungsfarben, wobei Warhol es vermeidet, dasselbe Photo zweimal auf denselben Grund zu drucken. Trotz der Wiederholungen enthält das Bild also keine identischen Tafeln. Ein subtiles Spiel von Original und Reproduktion, Differenz und Indifferenz kommt in Gang. Ist die seitenverkehrte Wiederholung auf anderem Grund „dasselbe Bild“? Die Frage kann sowohl bejaht wie verneint werden, je nach dem Begriff von „Bild“, der einer Entscheidung zugrundegelegt wird. Die Ambivalenz von Vielfalt und Redundanz sowie das Zufällige der Anordnung unterlaufen den zunächst evozierten Eindruck, es handle sich bei Ethel Scull Thirty-six Times um die Wiedergabe eines sinnhaften Geschehens. Doch die Bildstruktur ist die ästhetische Entsprechung zu dem, was das Geschehen in Wahrheit war: ein abruptes Gestikulieren angesichts einer unbeteiligt starrenden Kamera, das Durchspielen eines limitierten Repertoires stereotyper Posen aufgrund der Aufforderung, sich selbst zu inszenieren.

Über die scheinbare Annäherung an die Narration des Films bestimmt Warhol den Vorgang des Porträtierens neu. Ist ein traditionelles Bildnis die Synthese davon, wie der Künstler (Maler oder Photograph) den Porträtierten während der Sitzungen erfahren hat, so repräsentiert Warhols Portrait, wie Ethel Scull sich selbst zum Bild gemacht hat. Im entscheidenden Augenblick des bildnerischen Prozesses, in dem die Wirklichkeit (Ethel Scull) zum Bild wird, steht Warhol buchstäblich außerhalb des Geschehens: vor der Photokabine, in der die Umwandlung allein vonstatten geht. An die Stelle des Dialogs zwischen Künstler und Modell tritt der Monolog einer Selbst-Darstellung.

Warhol kehrt nur scheinbar zur beinahe vergessenen Gattung des Auftragsporträts zurück. Denn indem er den Vorgang der Repräsentation aufsplittert und zum einen an einen Automaten delegiert, vor allem aber an das Modell selbst zurückgibt („Now start smiling and talking“), unterläuft er ihn im entscheidenden Punkt. Er selbst wird gleichsam nur am Rand aktiv, füttert zuvor einen Apparat mit Münzen und modifiziert hinterher die Resultate, selektiert, beschneidet, vergrößert, rastert, wählt Grundierungen und Formate, druckt und fügt schließlich zusammen. Die Art und Weise, wie Warhol dies tut, dient allerdings weniger dazu, von der Dargestellten zu erzählen, als den Repräsentationsprozeß als solchen offenzulegen und das Bild als Porträt und zugleich Nicht-Porträt auszuweisen. (Daß die gebrochene Interaktion zwischen Warhol und seinem Modell dennoch etwas über die Auftraggeberin aussagt, wird uns später beschäftigen.)

Ist die Ambivalenz von Warhols Rückwendung zur Repräsentation einmal erkannt, erscheinen die entscheidenden Merkmale seines Arbeitsprozesses, die Reproduktion und die Serialität, in einem neuen Licht. Sie werden als Verfahren erkennbar, den Ausstieg aus der Abstraktion nicht gleichzeitig zu einem Wiedereinstieg in die traditionelle, abbildende Malerei werden zu lassen.

Für die Reproduktion ist dabei entscheidend, daß Warhol den Siebdruck ähnlich dilettantisch handhabt wie die Kameratechnik bei seinen Filmen. Die schlechte Qualität ist beabsichtigt. Um den Eindruck des Mangelhaften zu erwecken, werden die Vorlage-Photographien in der Umwandlung zum Drucksieb verschiedenen qualitätsmindernden Manipulationen unterworfen (Rasterung, Überbelichtung zur Steigerung der Kontraste u.a.), und beim Drucken weitere „Fehler“ und Unregelmäßigkeiten bewußt provoziert. Wie bei den Filmen steht dahinter die Absicht, das Medium in seiner Materialität hervortreten zu lassen. Augenfällig soll werden, daß der Bildprozeß zweigeteilt ist: daß Warhol nicht der „Autor“ der Wirklichkeitsrepräsentation ist, sondern ausschließlich derjenige, der bereits bestehende Repräsentationen „ready-made“ übernimmt und in neue Zusammenhänge bringt. Bei aller „Realistik“ offenbaren die Bilder immer auch, nicht Bilder über die Wirklichkeit, sondern Bilder über Bilder zu sein.

Das allerdings ist nur die erste, formale Ebene. Denn bereits die Photographien, die Warhol aufgreift, sind in ihrem Bezug zur Wirklichkeit von zwiespältigem Charakter. Nehmen wir, als ein offensichtliches Beispiel, die Marilyn-Porträts (Tafel 7-9). Schon das zugrundeliegende Bild Marilyn Monroes, eine Werbe-Standaufnahme für den Film „Niagara“, lebt von der Spannung zwischen dem Realismus, den das Medium verbürgt, und dem Fiktiven eines reinen „Image“-Konstruktes. Die Erfahrung der Photographie schwankt zwischen der gewußten Differenz von „Image“ und Realität und der sichtbaren Indifferenz, die zwischen beidem besteht. Angesichts der eigentümlichen Bild-Realität, die das Phänomen „Star“ darstellt, erscheint es folgerichtig, für ein Bildnis des Stars nicht den Menschen selbst, sondern dessen Bild zu porträtieren. Warhol tut dies in einer Weise, die das Imaginäre und Ungreifbare des Stars akzentuiert. Die Brisanz der Marilyns liegt in der Unmöglichkeit, hinter der Intertextualität von „Images“ je den festen Grund der Realität greifen zu können, dennoch aber eine Realität (bzw. ein Original) hinter den Reproduktionen voraussetzen zu müssen, da ansonsten der Begriff der „Reproduktion“ sinnlos wäre. Angesichts der Frage, was die Bilder Marilyn Monroes wirklich kommunizieren, gewinnt Warhols Verfahren, das die in der Kunst normalerweise bestehende Beziehung zwischen empirisch erfahrener Welt und bildlicher Darstellung durch die Beziehung zwischen verschiedenen Bildern ersetzt, seine eigentliche inhaltliche Dimension.

Mutatis mutandis ließe sich solches an den meisten von Warhols Bildern aufweisen, insbesondere an denjenigen, die anhand von massenpublizierten Vorlagen entstehen, deren Inhalte jeder kennt, ohne ihn je mit eigenen Augen gesehen zu haben. Dazu gehören neben den Star-Portraits die Jackie-Serie (Tafeln 26-27), die von den Ereignissen der Ermordung Präsident Kennedys handelt (Ereignisse, die gleichermaßen eine politische Erschütterung darstellten wie als längste Live-Sendung der Fernsehgeschichte einen Höhepunkt des Mediums markieren), die Reihe der Disaster Paintings (Tafeln 10-19), Mao-Bildnisse (Tafeln 52-54), usw. Doch selbst das Beispiel von Ethel Scull Thirty-six Times, das nicht in diese Klasse von Werken fällt, ist hier aufschlußreich. Verraten doch die 36 bzw. 25 Bilder von Ethel Scull nur gerade ihre Willfährigkeit, sich auf eine glänzende Oberfläche zu reduzieren – eine Oberfläche allerdings, von der sie selbst überzeugt war, daß sie „hinreißend“ sei, und die noch ihre Enkelkinder „stolz auf ihre Großmutter machen“ werde. Entsprechend fällt auch ihre Entscheidung aus, ihr Portrait dem Whitney Museum of American Art in New York nur unter der Bedingung zu schenken, daß es stets ausgestellt sei. Das Credo der mondänen Welt, die inszenierte, schattenlose Schauseite für die einzig maßgebliche Realität zu halten, ist das Credo auch Ethel Sculls. Warhols Vermögen, Prozesse der Repräsentation (in diesem Fall: der Selbst-Repräsentation) offenzulegen, verleiht dem Portrait eine psychologische Schärfe, die ihm auf den ersten Blick abzugehen scheint. Bilder wie die Marilyns oder wie Ethel Scull Thirty-six Times jedenfalls sind geeignet, Warhols „Oberflächlichkeit“ neu zu bedenken.

Der Konflikt zwischen der abbildenden Darstellung der Wirklichkeit und der bloßen Intertextualität von Bildern wird durch die Verbindung von Reproduktion und Serialität noch zugespitzt. Innerhalb der verschiedenen Formen der Serialität, die seit dem späten 19. Jahrhundert entwickelt worden sind, zeichnet sich Warhols Position durch zwei Eigenschaften aus. Einerseits durch die Verknüpfung von Serialität und Reproduktion selbst – was insofern folgerichtig ist, als jede Reproduktion die Serialität der Anlage nach in sich trägt. Und andererseits durch seine innerbildlich seriellen Bilder, bei denen ein identisches Motiv mehrfach und flächendeckend auf eine einzige Leinwand gedruckt ist. Die Auswirkungen dieses Verfahrens auf die einzelne Reproduktion wie auf das Gesamtbild sind von elementarer Einfachheit, gleichzeitig aber von großer Tragweite. Das rasterförmige Nebeneinandersetzen verwebt die Strukturen der einzelnen Bilder zu einer ornamentalen Textur, an der wesentlich ist, dem Bildgegenstand äußerlich zu bleiben. Denn im gleichen Zug, wie die serielle Wiederholung den thematischen Zusammenhang, aus dem das Bild stammt, ausblendet, etabliert sie einen neuen Zusammenhang durch die Aufreihung selbst. Dieser aber betrifft nur die Form der Bilder, da die Wiederholung inhaltlich gesehen bloß Redundanz (und gerade keinen Zusammenhang) erzeugt. Die Umwandlung des Bildes, die damit einsetzt, steigert die Präsenz des Bildes als Oberfläche, während sie diejenige des Bildes als Abbild zum Schwinden bringt. Dies ist ein Effekt, den nicht nur Warhol einsetzt. So ist etwa an die gleichzeitig entstehenden Collagen des deutschen Künstlers Peter Roehr zu erinnern (Abb.6). Am häufigsten jedoch nutzt ihn die Werbung. Die Serialisierung geschieht hier entweder innerhalb der Gestaltung, oder dann als nachträgliche Maßnahme, indem z.B. Plakate zwei- und dreifach nebeneinandergeklebt sind, oder Monitore, auf denen ein Werbefilm läuft, zu ganzen Türmen und Wänden geschichtet werden. Die Wiederholung, die kein Mehr an Information erzeugt, läßt das Gezeigte formal interessanter erscheinen und fesselt damit unseren Blick – das primäre Ziel jeder Werbung (Abb.7).

Es ist vor allem eine Werkgruppe, die Warhol bevorzugt als innerbildlich serielle Bilder fertigt: die Disaster Paintings, die auf Pressephotographien von Autounfällen, Selbstmorden, des elektrischen Stuhls usw. basieren. Ein paar der Disasters seien also auf den seriellen Effekt hin angeschaut. Saturday Disaster, 1964 (Abb.8), z.B. zeigt die minimalste Form der Serialität: die Verdoppelung des Bildes. Doch das reicht bereits aus, um die beschriebene Transformation in Gang zu setzen. Indem Warhol die beiden Reproduktionen nicht neben-, sondern übereinanderstellt, verbinden sich die hängenden Körper zu einer beherrschenden Mittelachse, die die Reproduktionen übergreift und zusammen mit den kontrastierenden Horizontalen der Bildgrenzen und des Automobils dem Gesamtbild eine klare Ordnung verleiht – eine Ordnung, die zum chaotischen Bildinhalt in seltsamem Widerspruch steht. Bei Orange Disaster, 1963 (Abb.9), verknüpfen sich in den Bildern des elektrischen Stuhls die Horizontalen und Vertikalen sowie die hellen und dunklen Partien der einzelnen Wiedergaben zu einem Muster, in dem die elektrischen Stühle die Zentren bilden, wie es die Medaillons in einem Perserteppich tun. Eine wiederum andere Variante zeigt Suicide (Fallen Body), 1963 (Tafel 14), wo die Überformung des Bildgegenstandes durch das Flächenornament so weitgehend ist, daß es ihn beinahe zum Verschwinden bringt. Als letztes Beispiel sei ein Fall erwähnt, wo in der Sprache das Analoge geschieht. In Tunafish Disaster, 1963 (Tafel 15), sind Zeitungsseiten, die vom Tod zweier Frauen durch vergifteten Thunfisch berichten, collagiert. Das geschieht in einer Weise, die nicht nur die Dosen und die beiden Porträtköpfe seriell sich wiederholen läßt, sondern auch die Satzfragmente der Bildunterschrift zu einer fortlaufenden Zeile verbindet: „Seized shipment: did a leak kill…Seized shipment: did a leak kill…Seized shipment: did a leak kill“ – wobei auch diese Zeile noch zweimal wiederholt wird. Der Effekt ist ein Löschen des Ausgesagten und die Verwandlung der Worte in eine Art von konkreter Poesie.

Entscheidend ist nun aber, daß die Disaster Paintings aufgrund ihrer krassen Thematik nicht nur die Inhaltsseite der Bilder besonders herausstreichen, sondern vor allem eine Ornamentalisierung bzw. eine poetische Verwandlung besonders unangebracht erscheinen lassen. Darin unterscheiden sich Warhols Bilder deutlich von den vergleichsweise lyrischen Blättern Peter Roehrs oder gar von den Gefälligkeiten der Werbung. Ein weiteres Mal – diesmal in extremis – ist zu beobachten, wie Warhol die Ambivalenz des Bildes forciert und das Repräsentierte zur konkreten Textur der Oberfläche in Widerspruch setzt.

„Die Abwendung vom Gegenständlichen und einer der ersten Schritte in das Reich des Abstrakten war in zeichnerisch-malerischer Beziehung das Ausschließen der dritten Dimension, d.h. das Streben, das ‚Bild‘ als Malerei auf einer Fläche zu behalten.“ (Wassily Kandinsky). Kandinskys grundlegende Beschreibung des Anliegens der Abstraktion ist geeignet, Warhols mehrfach gebrochenes Repräsentationsverfahren noch einmal zu verdeutlichen. Indem Warhol „malen“ durch „reproduzieren“ ersetzt, bezieht er die dritte Dimension wieder in seine Malerei ein, um sie im gleichen Augenblick auszuschließen, da seine Bilder augenfällig nicht von der empirisch erfahrenen, sondern von der bereits auf zwei Dimensionen reduzierten Wirklichkeit handeln. Sie beziehen sich außerdem auf Phänomene, deren Realität immer schon im Modus des Bildes wahrgenommen wurde, ja deren Realität jenseits der Bilder in einigen Fällen sogar zweifelhaft ist. Und schließlich provoziert die rasterförmige Serialisierung die Bindung des Bildes an die Fläche des Malgrundes bei einer gleichzeitigen Relativierung des (dreidimensionalen) Inhaltes. Warhol unterzieht die anti-illusionistische Repräsentationskritik, die die Abstraktion formulierte, seinerseits einer Kritik, ohne sich aber auf die andere Seite zu schlagen, die mit der Abstraktion überwunden werden sollte. Die Bilder verharren in der Schwebelage zwischen Tiefenillusion und „dem Streben, das ‚Bild‘ als Malerei auf einer Fläche zu behalten“, zwischen Repräsentation und Nicht-Repräsentation, zwischen Malen und Nicht-Malen. „Pop Imagery, as I understand it, … is a way of getting around a dilemma of painting and yet not painting. It is a way of bringing in an image that you didn’t create.“ (Claes Oldenburg).

Die Bildstruktur, vor allem diejenige der innerbildlich seriellen Arbeiten, greift dabei die Rasterstruktur auf, die von den Farbfeld-Malern wie Elsworth Kelly oder Ad Reinhardt in den 50er Jahren entwickelt und von der Minimal Art in den 60er Jahren aufgenommen und weitergeführt wurde. (Abb. 10, 11, 4). Gleichzeitig erinnern manche Bildmuster, z.B. in Suicide (Fallen Body), 1963 (Tafel 14) oder in Optical Car Crash, 1962 (Tafel 10), an das polyfokale „All-over“ Jackson Pollocks (Abb .12 ) oder Clifford Stills. Die Pointe dieser Anklänge, die auch für das Dargestellte bezeichnend ist, liegt in der Vereinigung des scheinbar Unvereinbaren. Die Fülle, Bestimmtheit und Geschlossenheit der gegenständlichen Kunst wird mit abstrakten Bildsprachen verschränkt, die mit ihrer Leere (im semantischen Sinne), Unbestimmtheit und Offenheit nicht nur die traditionelle, repräsentierende Kunst zu überwinden suchten, sondern zu Warhols künstlerischem Tun in diametralem Gegensatz zu stehen scheinen.

An diesem Punkt tritt schließlich auch das Aufgreifen von Trivialitäten – neben der Abbildlichkeit und der Reproduktion das dritte „Skandalon“ der Bilder – in seiner Funktion hervor. Nur ein Motiv, das aufgrund seiner reproduktiven Allgegenwärtigkeit bekannt ist, läßt zugleich den Gegenstand selbst wie auch die Tatsache, in erster Linie ein Bild zu sein, ins Auge springen. Seine Trivialität offenbart die Wendung der Repräsentation, in erster Linie nicht vom Gegenstand zu sprechen, sondern von der Art und Weise, wie er kommuniziert wird. Gerade der Einsatz eines Motivs, das erneut abzubilden sich von selbst zu verbieten scheint, zeigt eine Konzeptualisierung „der Malerei“ an, in der die Repräsentation selbst zum Thema wird. Warhols Zuwendung zum Trivialen geschieht weder in einer populistischen Wendung weg von der elitären Kunst und hin zur Massenkultur – dafür sind die Bilder zu sehr mit dem künstlerischen Kontext verwoben. Noch hat sie die Absicht, das Volkstümliche aufzuwerten und auf die Ebene der Hoch-Kunst zu heben – dafür wiederum sind die Bildmotive zu deutlich anti-künstlerisch. Sie geschieht vielmehr mit dem Ziel, in der Überkreuzung von „High“ und „Low“ eine komplexe Bildlichkeit zu schaffen, die die Kenntnis beider Seiten voraussetzt und zur Bestimmung ihres Verhältnisses zwingt.

Warhol führt die modernistische Überbietung des unmittelbar Vorangegangenen fort, gibt ihr jedoch eine andere, unerwartete Wendung. Denn durch die Ambivalenzstruktur der Werke wird gleichzeitig die Überbietung als solche einer Kritik unterzogen. Kategorien „Autor“, „Malerei“, „Repräsentation“, „Original“, „Innovation“ und schließlich „Kunst“ werden in einer Weise ins Spiel gebracht, in der sich Negation und Affirmation die Waage halten. Die Auffassung, in Warhol einen frühen Repräsentanten postmoderner Kunstpraxis zu sehen, hat daher einige Berechtigung.

Gleichzeitig wäre Warhols ästhetisches Konzept mißverstanden, wenn es ausschließlich als Strategie erschiene, durch die geschickte Subversion bestehender künstlerischer Verfahren sich eine Position innerhalb der zeitgenössischen Kunst zu sichern. Indem die Filme wie die Bilder Realitätsnähe und Realitätsferne, Unvermitteltes und vielfältig Vermitteltes verschmelzen, treffen sie zugleich einen Nerv der Zeit. Bereits zu Beginn ist erwähnt worden, daß die späten 50er und die 60er Jahre vor allem in den Vereinigten Staaten durch den Aufstieg und die explosive Verbreitung der visuellen Massenmedien geprägt sind. Die Illustrierten stehen auf dem Gipfel ihrer Auflagezahlen, wesentlich gefördert durch die Rekordausgaben für die Werbung, die der Produktionsboom der Nachkriegszeit provoziert. „Life“, die führende unter ihnen, hat um die Mitte der 60er Jahre allein in Amerika eine Auflage von rund acht Millionen und eine Leserschaft von über 40 Millionen. Es ist ein Magazin, das neben der Werbung fast ausschließlich aus Photographien besteht. Gleichzeitig setzt sich in dieser Dekade das Fernsehen allgemein durch. Steht 1950 nur gerade in elf Prozent der amerikanischen Haushalte ein Fernseher, so 1960 in 88 Prozent. Der durchschnittliche Konsum des Mediums beträgt zu diesem Zeitpunkt bereits zwischen vier und fünf Stunden pro Tag. Daß dies einschneidende Veränderungen der Welt- und der Selbstwahrnehmung hervorruft, ist längst bekannt, auch wenn die Auswirkungen unterschiedlich eingeschätzt werden. Die unmittelbare und überwältigende Resonanz, die Marshall McLuhans „Understanding Media – The Extensions of Man“ (veröffentlicht 1964) erfahren hat, zeigt jedoch, in welchem Maße sie bereits den Zeitgenossen bewußt waren. Begriffe wie „Massenmedien“, „Informationszeitalter“ oder „globales Dorf“, die heute Gemeinplätze sind, wurden durch McLuhan, den Ahnvater der Kommunikations- und Medientheorie, damals in den Sprachgebrauch eingeführt. Warhols zeitgleich entstehende Arbeiten erscheinen, so gesehen, als Phänomenologie der medialen Wirklichkeitstransformation und -wahrnehmung. Denn wie sie haben auch die Massenmedien den Zug, durchsichtig und opak, unvermittelt und vermittelt, realistisch und eigengesetzlich zu sein. Und sie haben mit Warhols Bildern gemein, die enzyklopädische Fülle des Dargestellten in einem immergleichen, schablonenartigen Raster zu zeigen.

Warhol erneuert unter gewandelten Bedingungen eine der alten Fragen der Kunst: die Frage nach dem Verhältnis von Schein und Sein. Viele der Arbeiten erscheinen wie Versuchsanordnungen, die erforschen, was „Repräsentation“ angesichts der neuen Formen technisch-medialen Scheins heißen mag. Sie rollen das Problem gewissermaßen noch einmal von seinem Anfang her auf, so als wären Photographie und Film neue Erfindungen, deren Eigenheiten und Gebrauch erst noch eingeübt werden müßten. Für die Filme ist zu Recht gesagt worden, sie kehrten gleichsam noch einmal zu den Brüdern Lumière zurück, die das in seinen Anfängen steckende Medium anhand primitiver Dokumentationen einfachster Alltagssituationen zu erkunden begannen. „Movies bring in another whole dimension. That screen magnetism is something secret – if you could only figure out what it is and how to make it … But you can’t even tell if someone has it until you actually see them on the screen. You have to give screen tests to find out.“ (Andy Warhol).

Warhols Stärke liegt in der Verbindung dieser verschiedenen künstlerischen und außerkünstlerischen Ebenen. Zeitgenössischer Kunstdiskurs, kulturelle Zeugenschaft und grundlegende Fragen des Bildes und seines Bezuges zur Wirklichkeit sind in ihnen untrennbar verwoben. Die Vielschichtigkeit ist denn auch der Grund, weswegen Warhol so unterschiedlich gelesen und bewertet werden kann, den einen als Zyniker, den anderen als Sozialkritiker, den dritten als herausragender Künstler erscheinen will, wobei keine der Auffassungen für sich genommen richtig oder falsch ist. Und sie macht verständlich, wie die Bilder trotz ihrer Komplexität und unbeschadet ihrer scheinbaren „Unmöglichkeit“ eine beispiellose Verbreitung finden konnten und von Menschen geschätzt werden, die sonst an Kunst wenig Interesse zeigen. „I like to be the right thing in the wrong space and the wrong thing in the right space …, because something funny always happens. Believe me, because I’ve made a career out of being the right thing in the wrong space and the wrong thing in the right space. That’s one thing I really do know about.“ (Andy Warhol).

Abschnitt I
Abschnitt II
Punkt Abschnitt III
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