Warhol Self-Portrait als Druckversion (PDF mit Abb. 4.900 KB)
Andy Warhol: Self-Potrait (1967)
in: Sammlungskatalog Fondation Beyeler. Neuzugänge 1998-2003, Riehen/Basel/Wolfratshausen 2003, S. 32.
In der Kunst der letzten Jahrzehnte ist das Selbstbildnis rar geworden. Diesbezüglich stellt Warhol eine Ausnahme dar, so wie überhaupt ein traditioneller Zug seiner Kunst darin besteht, die alten Gattungen der Malerei, das Historienbild, das Porträt, das Genre, das Interieur, die Landschaft und das Stilleben, wieder zum Leben zu erwecken. Selbstbildnisse entstehen in grosser Zahl über die ganze Schaffenszeit Warhols hinweg. Das Bild der Sammlung Beyeler gehört zur zweifellos wichtigsten Serie, den Self-Portraits aus dem Jahr 1967. Der Traditionalität der Gattung entspricht die Geste, mit der sich der Künstler hier inszeniert. Warhol posiert mit ans Kinn gelegter Hand, dem klassischen Gestus des Melancholikers und „Intellektuellen“. Wer sich so präsentiert, zeigt sich nicht als einer, der die Verflachung der Konsumgesellschaft feiert, sondern als jemand, der das Schauspiel der Welt nachdenklich und distanziert zu reflektieren weiss. Die selbstbewusste Pose wird allerdings durch die drucktechnische Ausführung des Bildes nachdrücklich unterlaufen. Dadurch gewinnt das Bild einen ambivalenten Charakter, wie er Warhols Bildern auch sonst eigen ist. Was sogleich ins Auge fällt, ist der Schatten, der die eine Bildhälfte fast gänzlich bedeckt. Vom linken Bildrand her greift er auf das Gesicht über, schluckt dessen linke Seite vollständig und kriecht weiter nach rechts, wo er um Auge, Nase und Mund allmählich ausläuft. Die Figur und der Schatten sind mit demselben Sieb und derselben Farbe gedruckt. Auf diese Weise fallen das Sichtbarwerden der Physiognomie und deren Verschwinden in eins: eine Gestalt aus Schatten. Warhol druckt die Farbe zudem so, dass sie Blasen wirft und Flecken hinterlässt. So verliert sich sein Gesicht weniger im Schatten als vielmehr in einer unförmigen, löchrigen Masse. Springt man vom rechten Auge zur vermuteten Stelle des linken, zeigt sich, dass diese amorphe Masse Warhols Blick nicht löscht, sondern ins Unheimliche kippen lässt. Denn es sind nun diese Blasen, die anstelle des Auges zu blicken scheinen. In der Gattung des Selbstporträts sind Licht und Schatten wiederkehrende Motive, die auf den Sehsinn und das visuelle Erkennen anspielen. Zumeist zeigen sich die Künstler, wie sie aus dem Schatten ins Licht des Sichtbaren treten. Sie empfangen das Licht, zugleich gewinnen ihr Auge Glanz und ihre Gestalt Kontur. Warhol aber tritt nicht aus dem Schatten heraus, sondern eher in ihn zurück. Die selbstbewusste Pose kritischen Beobachtens bildet nur die eine Seite der Medaille – wörtlicher: die eine Hälfte des Bildes -, deren andere in einem gebrochenen, ausgelöschten Blick besteht. „Das Wesentliche ist das Weglassen“, sagte Warhol über sein bildnerisches Verfahren. Und auf seine Person bezogen: „Ich falle nie auseinander, weil ich nie eins bin.“
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