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Andy Warhol. Thirty Are Better Than One
Frankfurt/M. 1995 (Reihe Kunst-Monographien d. Insel-Verlags)
Kapitel I: Der Anlaß
Daß sich Warhol, der Maler des Berühmten und Allgegenwärtigen, für Leonardos Porträt der Mona Lisa (Abb. 1) interessiert, ist unmittelbar einleuchtend. Im Louvre drängen sich die Besucher Tag für Tag, um ihrer ansichtig zu werden, und durch Reproduktionen haben sich ihre Züge über die ganze Welt verbreitet. Leonardos Porträt ist das berühmteste Bild der Welt, seine Dargestellte nicht nur die berühmteste weibliche Gestalt der Kunstgeschichte, sondern vielleicht die berühmteste Frau überhaupt. Warhols Entschluß, sich mit dem Gemälde zu beschäftigen, hat jedoch nicht allein mit dem einzigartigen Rang der Mona Lisa zu tun. Es gibt dafür, wie bei manchem Bild Warhols, einen spezifischen Grund, der für das Bild sehr aufschlußreich ist.
Mona Lisas Reise
Am 12. Dezember 1962 eröffnet Präsident Kennedy seine wöchentliche Pressekonferenz mit folgenden Worten: »Im Namen des amerikanischen Volkes möchte ich der französischen Regierung meine Dankbarkeit für ihre Entscheidung ausdrücken, die Mona Lisa von Leonardo da Vinci zu einer Präsentation in die Vereinigten Staaten auszuleihen. Dieses unvergleichliche Meisterwerk . . . wird in unser Land kommen als Erinnerung an die Freundschaft, die zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten besteht. Es wird ebenfalls kommen als Erinnerung an die universale Natur der Kunst. Mrs. Kennedy und ich möchten insbesondere Präsident de Gaulle für seine großzügige Geste danken, welche diese historische Ausleihe möglich machte, und Mr. André Malraux, dem herausragenden französischen Kultusminister, für seine guten Dienste in der Sache.«
Die Reise der Mona Lisa in die Vereinigten Staaten, die Kennedy in dieser Weise offiziell ankündigt, bildet für Warhol den Anlaß für seine Auseinandersetzung mit dem Gemälde. 1963 entsteht eine Reihe von Paraphrasen, unter anderen Double Mona Lisa, Four Mona Lisas(Abb. 2) sowie als bekannteste und bedeutendste die Fassung mit dem Titel Thirty Are Better Than One (Klapptafel), die hier im Mittelpunkt steht. Warhols Interesse gilt nicht Leonardos Kunstwerk als solchem. Er setzt sich weder mit dessen Komposition noch mit dessen Farbgebung auseinander, sondern ordnet Mona Lisa in seine Galerie der Stars ein. Daß er sie hier, neben Marilyn Monroe und Elvis Presley, Jacqueline Kennedy und Marlon Brando, placiert, liegt an der eigentümlichen Rolle, die Mona Lisa im Gefüge der Kultur spielt, einer Rolle, die nicht allein diejenige eines Meisterwerks der Malerei ist. Die Reise nach Amerika läßt das exemplarisch deutlich werden.
Es ist bereits außergewöhnlich und historisch einmalig, daß die Ausleihe eines Gemäldes durch den amerikanischen Präsidenten selbst angekündigt wird. Einzigartig und spektakulär ist jedoch der Besuch von Leonardos Porträt insgesamt. Die entsprechenden Vorbereitungen und Verhandlungen beginnen im Mai 1962, als Malraux den Vereinigten Staaten einen offiziellen Besuch abstattet. Die Idee stammt wohl ursprünglich von einem Journalisten der Washington Post, der sie anläßlich eines Presse-Empfangs Malraux vortragen kann. Er findet beim französischen Kultusminister offensichtlich Gehör, denn noch am selben Tag spricht Malraux öffentlich davon, Frankreich werde die Mona Lisa möglicherweise ausleihen. Doch die Fürsprache Malraux‘ reicht für die Verwirklichung der ldee nicht aus. In Frankreich regt sich Widerstand von verschiedener Seite. In den über 400 Jahren, seit sich das Gemälde in französischem Besitz befindet, ist die Mona Lisa nie außer Landes gebracht worden, sieht man vom spektakulären Raub, der das Bild zwischen 1911 und 1913 nach Italien schafft, einmal ab. Während die Verantwortlichen des Louvre vor allem konservatorische Bedenken äußern, bringen zahlreiche Intellektuelle und Künstler kulturpolitische Einwände vor, die häufig einen anti-amerikanischem Einschlag aufweisen. Der Plan droht zu scheitern. Doch es kommt anders. Während des Sommers 1962 steigt das Vorhaben zu einer Staatshandlung ersten Ranges auf, und dieser Aufstieg macht es möglich, daß die Mona Lisa Frankreich schließlich doch verläßt. Das Gemälde wird nun unmittelbar vom französischen Präsidenten an das amerikanische Präsidentenehepaar ausgeliehen, die Durchführung seiner Reise und seiner Präsentation direkt vom Weißen Haus organisiert, und Kennedy selbst eröffnet die Ausstellung mit einer Ansprache. All das ist in der Geschichte des Ausstellungswesens ohne Parallele.
Kalter Krieg
Die Politisierung der gänzlich unpolitisch gemeinten Ausgangsidee des Washingtoner Journalisten muß vor dem Hintergrund der Ost-West-Beziehungen gesehen werden, die in den frühen 1960er Jahren auf einem Tiefpunkt stehen. 1961 wird mit dem Bau der Berliner Mauer der letzte freie Übergang zwischen Ost und Westeuropa gesperrt. Im selben Jahr versuchen die USA, das kommunistische Regime Fidel Castros in Kuba zu stürzen. Doch die Invasion der Insel durch Exilkubaner, die der CIA ausgebildet und ausgerüstet hat, scheitert bereits beim Landungsversuch in der »Schweinebucht«. Wegen der Stationierung sowjetischer Atomraketen in Kuba droht im Oktober 1962 gar der Ausbruch eines Weltkrieges, der nur dank dem Einlenken Chruschtschows und dem Abzug der Raketen abgewendet werden kann. Zur gleichen Zeit beginnen die USA ihren Einsatz in Vietnam entscheidend auszubauen. Seit der Niederlage und dem Rückzug der Kolonialmacht Frankreich sowie der anschließenden Teilung Vietnams (1954) haben sie die Schutzmachtrolle für das nicht-kommunistische Süd-Vietnam übernommen. Nach einer anfänglichen Phase, in der sie sich auf Finanz- und Waffenhilfe an die südvietnamesische Regierung beschränkten, greifen sie nun 1962 erstmals mit eigenen Soldaten in die Kämpfe gegen die kommunistische Guerilla ein. Der mörderischste Stellvertreterkonflikt des Kalten Krieges, der für die Vereinigten Staaten in einer militärischen, politischen und moralischen Katastrophe enden wird, beginnt zu eskalieren.
Das Tauwetter, das nach Stalins Tod 1953 anbrach, ist am Beginn der 1960er Jahre nicht nur in den Beziehungen der beiden Supermächte vorbei. Im Inneren der Sowjetunion zieht Chruschtschow, dem die Ablösung an der Staatsspitze droht, die ideologischen Zügel fester an. Zeitgleich mit Kennedys Ankündigung des Besuchs der Mona Lisa beginnt er einen Feldzug gegen bourgeoise Tendenzen in der sowjetischen Kunst. In Rückbesinnung auf die orthodoxe kommunistische Kunstauffassung erklärt er Propaganda wieder zu deren erster Aufgabe. Es ist der schwerste Rückschlag für die Künstler und Intellektuellen der Sowjetunion, deren Freiheiten in der nach-stalinistischen Ära allmählich gewachsen sind.
Die Konfrontation und die Rivalität der kapitalistischen und kommunistischen Blöcke ist ein erster Grund, warum sich die Staatsspitzen Frankreichs und Amerikas plötzlich für die Idee einer Ausleihe der Mona Lisa interessieren. In der eingangs zitierten Pressekonferenz spricht Kennedy davon, die Ausleihe solle nicht nur an die französisch-amerikanische Freundschaft erinnern, sondern ebenfalls »an die universale Natur der Kunst«. Daß dies gegen das propagandistische Kunstverständnis des Kommunismus und in einem weiteren Sinne gegen den Kommunismus überhaupt gesprochen ist, zeigen die Tischreden, die Malraux und der amerikanische Vize-Präsident Johnson Mitte Mai 1962 in New York halten, also kurz nachdem Malraux zum ersten Mal die mögliche Ausleihe der Mona Lisa erwähnt hat. In auffällig militärischer Metaphorik bezeichnet Malraux die Kultur als den mächtigsten Beschützer der freien Welt und als deren wichtigsten Verbündeten in der Führung der Menschheit. Die USA sieht er als die Vorkämpfer der Kultur, die dem Marxismus nicht mit Waffen, sondern mit der Freiheit der Schöpferkraft entgegenträten. Er beschließt seine Rede mit einem Toast auf die Kultur, auf die atlantische Zivilisation und auf die Freiheit des Geistes. Johnson seinerseits führt aus, die Welten der Kultur und der Politik seien nicht länger getrennt. Frankreich und die USA hätten in Stunden der Gefahr stets sowohl materiell wie geistig zusammengestanden, und er ruft dazu auf, es auch in diesen Stunden der Verheißung zu tun. Johnson mag dabei sowohl die gemeinsamen Interessen der beiden Länder in Vietnam, aber auch das Mona-Lisa-Projekt vor Augen haben. Tatsächlich feiert Kennedy ein halbes Jahr später, als er die Schaustellung der Mona Lisa in Washington eröffnet, das Porträt als Musterbeispiel für die Werte und Ideale der freien, westlichen Welt, die es gegen die ideologische und militärische Expansion der kommunistischen Staaten zu verteidigen gelte.
Der zweite und unmittelbarere Grund für die transatlantischen Grüße, die Mona Lisa zu überbringen hat, steckt jedoch hinter dem unauffälligen Satz Kennedys, Leonardos Werk komme »als Erinnerung an die Freundschaft, die zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten bestehe«. In der Tat ist es notwendig, an diese Freundschaft zu erinnern, denn es steht um sie so schlecht wie nie seit dem zweiten Weltkrieg. Am selben Tag im Mai 1962, an dem Johnson und Malraux in New York das Glas auf die kulturelle und politische Zusammenarbeit ihrer beiden Länder heben, hält Frankreichs Präsident de Gaulle in Paris eine Rede, die das Verhältnis der beiden Staaten schwer belastet und das westliche Verteidigungsbündnis der NATO einer Zerreißprobe aussetzt. De Gaulle erscheint die sicherheitspolitische Abhängigkeit Europas von Amerikas Atomwaffen unannehmbar und gefährlich. Wenn Europa im Kräfteverhältnis der Supermächte nicht übergangen werden wolle, müsse es seine eigene Atomstreitmacht aufbauen. Frankreich werde hierbei vorangehen und gleichzeitig mit Ländern wie Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland über eine Beteiligung verhandeln. Kennedy reagiert äußerst ungehalten auf diese lnfragestellung der amerikanischen Vormachtstellung und verurteilt jegliches Bemühen, innerhalb der NATO ein europäisches Sonderbündnis einzugehen. Immerhin unterbreitet er einen Gegenvorschlag, der darin besteht, sowohl Frankreich wie Großbritannien das mit atomaren Mittelstreckenraketen bestückte ›Polaris‹-Unterseeboot zu liefern. Doch da nach den Vorstellungen Kennedys der Oberbefehl dieser »europäischen« Atomwaffe dennoch bei der NATO liegen soll, lehnt de Gaulle ab. England hingegen geht auf das amerikanische Angebot ein. Drei Wochen vor der Eröffnung der Mona-Lisa-Präsentation in Washington treffen sich Kennedy und der britische Premierminister Macmillan in Nassau zur Unterzeichnung eines entsprechenden Grundsatzvertrags. Mit dieser Entscheidung erteilt Macmillan gleichzeitig Frankreichs ldee einer eigenständigen europäischen Atommacht eine Absage – was Frankreich im Januar 1963 mit einem Veto vergilt, das die Aufnahme Großbritanniens in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft vereitelt. De Gaulle hält gegen den amerikanischen Widerstand an seinen atomaren Plänen fest. 1966, inzwischen im Besitz eigener Atomwaffen, löst Frankreich seine Truppen aus der integrierten militärischen Struktur der NATO und bleibt nur noch Mitglied der politischen Allianz.
Die Situation in der zweiten Jahreshälfte 1962, als der Plan einer Ausleihe der Mona Lisa Gestalt annimmt, ist somit folgende: sowohl in den USA wie auch in Frankreich besteht die Einsicht, daß es in der gegenwärtigen Situation weder möglich ist, ernstlich gegeneinander, noch in voller Eintracht miteinander zu agieren. Die ldee des amerikanischen Journalisten kommt also gerade gelegen. Das berühmte Gemälde soll als »Botschafter des guten Willens«, wie John Walker, der Direktor der Washingtoner National Gallery und der von Kennedy ernannte Organisator der Ausstellung, das Gemälde nennt, in einer Art Ersatzhandlung eine Allianz symbolisieren, die auf politisch-militärischer Ebene blockiert ist.
Mona Lisa wird auf ihrer Reise ein Protokoll zuteil, das jedem Staatsoberhaupt schmeicheln müßte. Nach der offiziellen Verabschiedung in Le Havre Mitte Dezember 1962 reist sie in einer Luxuskabine des Passagierdampfers France, bewacht von zwei vor der Kabinentür aufgestellten Sicherheitsbeamten und in ständiger Gesellschaft der verantwortlichen Konservatorin des Louvre. Das Einlaufen in New York eskortieren Schiffe der amerikanischen Kriegsmarine, Salutschüsse werden abgefeuert. Nach der Begrüßungszeremonie mit Ansprachen verschiedener Persönlichkeiten aus Politik und Kultur rollt Mona Lisa auf einem roten Teppich zur Ankunftshalle, wo sie in eine schwarze, kugelsichere Limousine umgeladen wird. Eine Kolonne von acht Fahrzeugen mit 50 Polizisten und Sicherheitsbeamten schützt den Wagen auf seiner anschließenden Fahrt in die Hauptstadt.
Zum eigentlichen Staatsakt aber gerät die Eröffnung am 8. Januar 1963. Kennedy selbst hat dieses Datum bestimmt, da zu diesem Zeitpunkt die Repräsentanten des Staates aus dem Weihnachtsurlaub zurückgekehrt sein würden. Im langen Marmorsaal der National Gallery, aus dem alle anderen Kunstwerke entfernt worden sind, finden sich rund 2000 Gäste ein, unter ihnen das gesamte Kabinett Kennedys sowie die Mehrzahl der Abgeordneten und der Obersten Richter des Landes. Zu dieser fast vollzähligen Versammlung der politischen Elite der Vereinigten Staaten gesellen sich Vertreter der Armee, Diplomaten und Persönlichkeiten der Kultur. Die Eröffnungsreden, die Kennedy und Malraux vor diesem Auditorium halten, lassen endgültig offenbar werden, wie sehr die Mona Lisa hier nicht um ihrer selbst willen gefeiert, sondern für ganz andere Zwecke eingesetzt wird. Kennedy betont zunächst die ideelle und kulturelle, dann auch die politisch-militärische Gemeinschaft Frankreichs und der USA seit den Tagen des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges:
»Unsere beiden Nationen haben in vier Kriegen während der letzten 185 Jahre auf derselben Seite gekämpft. [. . . ] Unsere beiden Revolutionen halfen die Bedeutung von Demokratie und Freiheit definieren, von Werten, die heute vehement bekämpft werden. Heute, hier in diesem Museum, vor diesem großartigen Gemälde, erneuern wir unsere Verpflichtung diesen Idealen gegenüber, die uns während so mancher Gefahr aufs stärkste verbanden.«
Dann aber wendet er sich den gegenwärtigen Rissen im Einverständnis zu:
»Wir in den Vereinigten Staaten sind dankbar für diese Leihgabe Frankreichs, der führenden künstlerischen Macht in der Welt. Im Lichte des jüngsten Treffens in Nassau muß ich anmerken, daß dieses Gemälde sorgfältig unter französischem Befehl gehalten wurde, und daß Frankreich sogar dessen Oberbefehlshaber, M. Malraux, mitgeschickt hat. Und ich möchte klarstellen, daß wir, so dankbar wir für dieses Gemälde sind, im Bemühen fortfahren werden, eine unabhängige und eigene künstlerische Streitmacht aufzubauen.«
Die anwesende politische, militärische und diplomatische Prominenz weiß Kennedys verklausulierte kriegerische Sprache durchaus zu verstehen. Das Treffen mit Macmillan in Nassau hatte auf militärischem Gebiet genau das zum Anlaß – die französische Initiative einer unabhängigen, unter eigenem Oberbefehl stehenden Atomstreitmacht -, worauf Kennedy hier durch das ironische Vertauschen der Bereiche von Kunst und Militär sowie der beiden Länder anspielt. Mit dieser Ironisierung der französischen Atomwaffenpläne bringt er indirekt, aber unmißverständlich seine Auffassung der angemessenen Rolle der beiden Länder zum Ausdruck: Frankreich als die führende künstlerische Macht der Welt, die USA aber als deren führende militärische Macht.
Ein janusköpfiger Ruhm
In all den Ehrungen, Reden und Zeremonien verliert Leonardos Bildnis der Lisa del Giocondo jegliche Identität. Eigentümlich ist bereits der Status als Gesandter Frankreichs, ja gewissermaßen als Stellvertreter de Gaulles. Mona Lisa wird weniger wie ein Gemälde als wie ein lebender Mensch, wie eine reisende Majestät behandelt. Kühn sind auch die Verbindungen, die die beiden Redner in ihren Eröffnungsansprachen schaffen. Bei Kennedy darf Mona Lisa für die »heute vehement bekämpften Werte von Freiheit und Demokratie« einstehen, wird mit Waffen unter französischem Befehl verglichen und dient schließlich als Beweis für den Rang Frankreichs als führende künstlerische Macht der Welt. Malraux seinerseits schlägt die Brücke vom Risiko, dem Mona Lisa bei ihrer Fahrt nach Amerika ausgesetzt ist, zu den viel bedeutenderen Gefahren, die die amerikanischen Soldaten bei ihren Einsätzen in Europa während der beiden Weltkriege auf sich genommen haben. Mit dem Gemälde Leonardos, das zwischen 1503 und 1506 für den Florentiner Kaufmann Francesco del Giocondo entstand, hat das alles kaum etwas zu tun. Als einzigen Anknüpfungspunkt können Kennedy und Malraux die Tatsache verwerten, daß sich das Porträt seit Ca. 1540 in französischem Besitz befindet, erst der Könige, dann der Republik. Doch das Bildnis des italienischen Renaissancemalers allein schon aufgrund des Besitzverhältnisses zum französischen Botschafter, ja sogar zum Beweis der künstlerischen Vorrangstellung Frankreichs zu machen, ist nur eine weitere der Identitätsverfälschungen, die notwendig sind, damit Mona Lisa ihre politische und ideologische Mission erfüllen kann.
Dem Ruhm der Mona Lisa hingegen sind diese Ereignisse nur förderlich. Ihr Status ist einzigartig: als mehrhundertjähriges Meisterwerk der Malerei und gleichzeitiger Ehrengast des amerikanischen Präsidenten erscheint sie als eine Persönlichkeit sui generis. Die Bevölkerung der Vereinigten Staaten zollt ihr die entsprechende Aufmerksamkeit. Der Besucherstrom erreicht einen bis heute ungebrochenen Rekord. Zunächst im Januar in Washington, dann im Februar in New York ausgestellt, zieht die Mona Lisa insgesamt über 1,7 Millionen Schaulustige an. Das aber sind so viele, daß den Besuchern nach langem Anstehen nur wenige Sekunden vor dem Gemälde bleiben, die gerade eben erlauben, einen flüchtigen Blick darauf zu werfen. Auch die Verbreitung des Kunstwerkes durch Reproduktionen stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten. Eine wahre Flut von Kunstdrucken und Zeitungsbildern sowie Adaptationen, Karikaturen und Cartoons ergießt sich bereits im Vorfeld der Ausstellung über ganz Amerika, und die entscheidenden Stationen des Besuchs werden vom Fernsehen übertragen. Wer zufälligerweise mit Mona Lisa noch nicht bekannt war, wird es jetzt.
Auf der Reise der Mona Lisa in die Vereinigten Staaten wird vor allem eines deutlich: das Janusköpfige ihres Ruhms. Das Gefeiertwerden als größtes Kunstwerk aller Zeiten, ja die Erhebung weit über den Bereich der Kunst hinaus, ist verknüpft und sogar bedingt durch den Verlust jeglicher künstlerischer und historischer Identität. Erst deren Ausblendung erlaubt die mannigfache Nutzung des Gemäldes: die Trivialisierung durch die Cartoonisten, die Vermarktung durch die Souvenirindustrie, an erster Stelle aber das Rahmengeschehen selbst, den Einsatz als antikommunistisches, amerikanisch-französisches Unterpfand. Die Glorifizierung und die Banalisierung der Mona Lisa, zwei Vorgänge, die sich eigentlich gegenseitig ausschließen müßten, erweisen sich als die zwei Seiten derselben Medaille.