Andy Warhol Abstrakter Expressionismus Pop Art Realismus

Scheinbare Wiederkehr als Druckversion (PDF mit Abb. und Fn. 4.310 KB)

spacer

Die scheinbare Wiederkehr der Repräsentation. Ambivalenzstrukturen in Warhols frühem Werk

in: Andy Warhol. Paintings 1960-1986, hrsg. von Martin Schwander, Katalog Kunstmuseum Luzern 1995, Stuttgart 1995, S. 31-42 u. 74-76.

„You see, to pretend something’s real, I’d have to fake it. Then people would think I’m doing it real.“ (Andy Warhol)

Abschnitt I

Bekanntlich ist es ein Merkmal der modernen Kunst, mit ihren jeweils innovativen Schöpfungen die geltende Auffassung von der Kunst aufzuheben und gleichzeitig zu erweitern. Dieser Prozeß der Zerstörung und phönixgleichen Wiederauferstehung der Kunst scheint jedoch im Falle Warhols so kraß zu verlaufen, daß keineswegs Übereinstimmung besteht, ob seine Innovationen wirklich als sinnvolle Selbsterneuerung der Kunst gelten können. Zu nihilistisch präsentiert sich der abrupte Wechsel von der abstrakt-expressionistischen, von hohen Idealen und dem Bewußtsein historischer Mission getragenen Malerei der New Yorker Schule zu einer Bildsprache, die sich in der endlosen Wiederholung von Trivialitäten zu erschöpfen und damit alles in Frage zu stellen scheint, was in einer folgerichtigen malerischen Entwicklung von Pollock, Kline, Rothko, Newman u.a. erreicht worden war. Die Konfrontation zwischen den beiden sich diametral entgegengesetzten Auffassungen, was „die Malerei“, „das Tafelbild“, „der Künstler“ usw. sei, stellt sich um so bedeutsamer dar, als sie die erste war, die sich innerhalb der amerikanischen Kunst und weitgehend unabhängig von europäischen Einflüssen ergab – trotz der Existenz und zeitlichen Priorität einer englischen Pop Art. Mit einem Mal standen sich zwei Auffassungen der Malerei gegenüber, die beide als genuin amerikanisch begriffen wurden.

Diese „Querelle américaine“ hat den Blick auf die Pop Art entscheidend geprägt, insbesondere den Blick auf Warhol, der die herausfordernste Position bezog. Die Folge war eine Auffassung, die Warhol in erster Linie als Negation verstand – als Negation der Originalität und der Einzigkeit des Bildes, als Negation der (Hoch-)Kultur, als Negation der Errungenschaft der Abstraktion. Mehr noch: auf einmal war das Entwicklungsschema der modernen Malerei in Frage gestellt, das der einflußreiche Kritiker Clement Greenberg in Abstimmung auf die amerikanische Nachkriegskunst so schlüssig als die zunehmende Essentialisierung bestimmt hatte, die sich in der Rückführung des Bildes auf die anti-illusionistische, selbstbezügliche „Wörtlichkeit“ der Fläche offenbart. Warhol war das aggressive Beispiel einer Kunstpraxis, die in diese Entwicklung nicht mehr einzuordnen war, sondern einen sich der Massenkultur anbiedernden Rückfall in ein überwundenes Stadium der Kunst darzustellen schien.

Die polemischen Debatten der 60er Jahre scheinen heute nur mehr Geschichte zu sein. Die Bewertungen sind sachlicher und differenzierter geworden. Ausführliche Biographien haben die proletarische Herkunft, den Ausbildungsgang, die erfolgreiche Zeit als Werbegrafiker und den Aufstieg zum internationalen „Kunststar“ sorgfältig nachgezeichnet – was im Falle Warhols immer auch bedeutet, ein Stück Sozialgeschichte der Kunst und ihrer Rezeption zu schreiben -, und sie haben dabei eine Fülle wichtiger Details zutage gefördert. Untersuchungen, die sich mit Einflüssen, Vorbildern, Persönlichkeitsstruktur usw. beschäftigten, erbrachten außerdem manchen Hinweis auf die Entwicklung der formalen Sprache und die Hintergründe der Themenwahl. Gleichwohl hält sich die Auffassung, Warhol sei die Negation all dessen, was die Kunst als solche definiert, in hartnäckiger Weise. Sie liegt, ausgesprochen oder nicht, fast allen Deutungen zugrunde. Eine Differenzierung hat sich nur insoweit ergeben, als verschiedene Vorschläge gemacht wurden, die „Leere“ der Arbeiten, an der als solcher nicht gezweifelt wird, herzuleiten und verständlich zu machen. Die Ebene der Betrachtung hat sich dabei bloß von der Ebene der Bilder auf die Ebene des Künstlers verlagert, indem Warhols eigene „Leere“ (seine Erlebnisunfähigkeit, sein Zynismus, sein postmodernes Dandytum, vor allem sein berühmter Wunsch, „eine Maschine zu sein“) herausgestellt wurden. Oder man wechselte auf die Ebene des kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhangs, in dem dieselbe „Leere“ (als Konsumismus, Dekadenz, Verlust kritischen Denkens usw.) entdeckt wurde.

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der ästhetischen Struktur von Warhols Werk ist entsprechend rar. Kaum wahrgenommen wurde, daß die Zuwendung zur Repräsentation, zur Reproduktion und zum Trivialen vermittelter, die Semantik, Syntax und Pragmatik der Werke ambivalenter ist, als es eine solchermaßem polare Optik wiedergeben kann. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich die Bildsprache als vielschichtige Antwort auf die Situation am Ende der 50er Jahre, als der Abstrakte Expressionismus durch den selbstauferlegten Reduktionismus in eine Sackgasse geraten und im Begriff war, als Dekoration und Akademismus seine kritische wie seine „sublime“ Dimension einzubüßen. Die Krise der tonangebenden Avantgarde förderte eine Fülle von Kunstformen zu Tage, die alle in der Greenberg’schen Entwicklungslogik nicht unterzubringen waren, so neben der Pop Art das Happening, die Minimal Art oder die Konzeptkunst. Im Zusammenhang mit dieser Umbruchsituation sind Warhols Arbeiten zu sehen. Sie stellen die Malerei des Abstrakten Expressionismus auf den Kopf, ohne jedoch auf einen überholten Stand des künstlerischen Diskurses zurückzufallen. Die Pointe seines Werks ist gerade, den Abstrakten Expressionismus zwar einer grundlegenden Kritik zu unterziehen, gleichzeitig aber wichtige Aspekte seines ästhetischen Verfahrens aufzugreifen. Diese modernistische Überbietung des unmittelbar Vorangegangenen geschieht nicht zufällig in einer Weise, die zum Happening, zur Minimal Art und zur Konzeptkunst aufschlußreiche Verwandtschaften besitzt. Warhol unterläuft die Opposition, deren einen Pol er angeblich so beispielhaft besetzt.

Eine Überprüfung des Oppositionsschemas ist außerdem nötig, weil Warhol seinen Standpunkt nicht allein in Reaktion auf die Kunstpraxis der Vorgängergeneration gewinnt. Die Rückkehr zur Gegenständlichkeit und der Einsatz von reproduktiven Techniken richtet sich weder gegen die Abstraktion als solche noch gegen die Kunst überhaupt, sondern zeigt vor allem eine Verschiebung des künstlerischen Interesses an. Die fortdauernde Selbstbefragung des Mediums, die Greenbergs Formalismus als Aufgabe der Malerei begriff, wird erweitert durch eine Zuwendung zu den Ereignissen und Dingen, die zwar unsere alltägliche Erfahrung konstituieren, jedoch vor allem im Zuge der Abstraktion aus der Kunst ausgeschlossen wurden. Warhol erscheint hierbei als Seismograph von Veränderungen, welche die sich durchsetzende Massenkommunikation hervorruft. Grenzerfahrungen der Wahrnehmung bilden für Warhol weniger die dezentrierten Strukturen von Pollocks riesigen Leinwänden, die die Kunstwelt in Atem hielten, als die Bilder von Kennedys Tod oder die Sputnik-Signale aus dem All, die die ganze, zum „globalen Dorf“ geschrumpfte Welt gleichzeitig zu erschüttern vermögen. Im Mittelpunkt von Warhols Werks steht die Frage, was und wie unter diesen Bedingungen kommuniziert wird, und was angesichts solcher Phänomene „authentische Wahrnehmung“ heißt, auf der gerade die Kunst gerne beharrt. Warhols Subversionen erschließen sich nur dann, wenn sie sowohl als Teil eines innerkünstlerischen wie eines außerkünstlerischen Wandels begriffen werden.

Dem Entwurf von Warhols Arbeiten wird am ehesten gewahr, wer das Werk als Ganzes in den Blick nimmt. Vor allem müssen die Bilder und die Filme als Ausdruck ein und desselben künstlerischen Verfahrens begriffen werden. Eine Eigentümlichkeit des Umgangs mit Warhol besteht jedoch darin, die verschiedenen Medien, in denen er gearbeitet hat, bewußt oder unbewußt zu trennen. In den Ausstellungen werden die Filme, wenn überhaupt, höchstens in einem Beiprogramm gezeigt, das nur von wenigen der Ausstellungsbesucher wahrgenommen wird. Meist werden zudem gekürzte und damit entstellte Fassungen vorgeführt. Eine direkte Gegenüberstellung von Filmen und Bildern findet nicht statt, so daß es dem Einzelnen überlassen bleibt, den Bezug zwischen ihnen herzustellen. Mag dies mit ausstellungstechnischen Schwierigkeiten zusammenhängen, so ist doch bezeichnend, in der Literatur eine entsprechende Situation vorzufinden. Gleichsam arbeitsteilig kümmern sich die Kunstkritiker und Kunsthistoriker um die Bilder, während die Filme (die generell weniger Beachtung finden), den entsprechenden Spezialisten überlassen werden, die nun ihrerseits die Bilder kaum anzuschauen pflegen. Eine Reflexion auf die Zusammenhänge ist von vornherein ausgeschlossen.

Die Filme gleichgewichtig heranzuziehen, rechtfertigt sich jedoch in mehrfacher Hinsicht. Nicht nur sind die beiden Ausdrucksmedien bei Warhol konzeptuell eng verschränkt. Wichtiger noch erscheint der Umstand, daß zwei der Charakteristika, die die Bilder so skandalös erscheinen lassen, die reproduktive Machart und die Rückwendung zur Gegenständlichkeit, bei den Filmen weder auffällig sind, noch gar das Brechen eines Tabus darstellen. Filme stehen fast immer in einem abbildlichen Bezug zur Wirklichkeit, und ihr Medium ist von vornherein auf die Reproduktion angelegt. Fallen diese Merkmale als klassifizierende Eigenschaften jedoch weg, können Kriterien der Bewertung wieder zur Geltung kommen, die sich bei einem Künstler wie Warhol zu erübrigen scheinen. Um der Besonderheit der Filme gewahr zu werden, bleibt nämlich nur, sie nach ihrem gestalterischen Entwurf zu befragen. Wenn die Betrachtungsweise dadurch herkömmlicher wird, kann das zunächst nur von Vorteil sein. Jenseits der Polarität von abstrakt und gegenständlich, Original und Reproduktion, „high“ und „low“, die immer schon mit klaren Wertungen verbunden ist, eröffnet sich die Chance einer näher an künstlerischen Fragen orientierten Bewertung. Das dürfte auch der Grund sein, daß der Filmemacher Warhol bereits um die Mitte der 60er Jahre als hervorragender avantgardistischer Künstler galt und bereits 1964, ein Jahr nach seinem ersten Film, den von der New Yorker Zeitschrift „Film Culture“ verliehenen „Independent Film Award“ erhielt, während die Würdigung der Tafelbilder als künstlerische Leistung (und nicht nur als subversive Provokation) erst viel später einsetzte und noch immer zögerlich bleibt. Aus diesen Gründen werden hier die Bilder und die Filme unter gemeinsamem Horizont und nach denselben Kriterien analysiert; zudem wird die übliche Rangfolge umgedreht und die Betrachtung der Filme vor diejenige der Bilder gestellt.

Punkt Abschnitt I
Pfeil Abschnitt II
Abschnitt III
spacer
Scheinbare Wiederkehr als Druckversion (PDF mit Abb. und Fn. 4.310 KB)